Monat: Februar 2022

Zwischenzeiten und Zwischenorte 19.02.2022

Zwischenzeiten und Zwischenorte 19.02.2022

Bei einer solch langen Reise, wie wir sie gerade unternehmen, sind die Höhepunkte in Nationalparks oder an sonstigen herausragenden Orten nicht die Regel, sondern eher die Abwechslung zum Reisealltag. Zwischen zwei Höhepunkten hat man lange Fahrstrecken zu überwinden, was aber für uns kein Nachteil ist, sondern genau den Zauber dieser Art zu Reisen ausmacht. Diese unbekannten Zwischenorte, die langen Zwischenzeiten geben uns Gelegenheit, nicht nur isolierte Höhepunkte wahrzunehmen, sondern auch deren Einbettung in die jeweilige geographische und kulturelle Umgebung. Man lernt das Land aus einer anderen Perspektive kennen und erhält so differenzierte Einblicke. Es bleibt Zeit, die gedanklich oft nicht zusammen passenden Erfahrungen zu reflektieren.

Schon bei der 100 km langen Anfahrt über teilweise unwegsame Pisten zum Ol Doinyo Lengai haben wir das Land der Massai durchquert. Hinter jedem Hügel tauchen neue ausgemergelte Rinderherden mit Massai-Hirten auf, der Boden völlig überweidet, kein Halm ist mehr am Boden zu sehen. Einige der Massai winken fröhlich, viele halten bettelnd die Hand hin. Die Kinder betteln fast alle, schreien uns dann böse hinterher, wenn wir ihnen nichts geben, ein Junge hat Kathrina sogar Steine hinterher geworfen. Bei der ebenfalls 100 km langen Fahrt vom Ol Doinyo Richtung Kilimandscharo dasselbe Bild: überweidete Gebiete, ausgemergelte Herden, bettelarme Menschen. Ein trauriges Bild, aber es liegt nicht in unserer Hand, dies zu ändern. Man wird schon zornig, wenn man bedenkt, dass man so viel Geld zahlen muss, wenn man sich in den Schutzgebieten aufhält. Laut der Fremdenführer kommt von diesen zentralen staatlichen Gebühren bei den Kommunen kaum etwas bis gar nichts an, von daher erheben einige Kommunen zusätzlich noch Maut für die Pisten. Aber auch von diesem Geld werden weder die Pisten gepflegt, noch eine vernünftige Entwicklung oder Strukturplanung in den Kommunen durchgeführt – wie sonst erklärt man sich diese ökologische und menschliche Katastrophe, deren Zeugen wir gerade werden?

An den touristischen Höhepunkten erzählen die Führer einem dann stolz von ihren großartigen Konzepten der ineinander übergehenden Schutzgebiete ohne Zäune (die übrigens von Bernhard Grzimek in den 1950‘er Jahren vorgeschlagen wurden…). Dies soll die natürliche Wanderung der Wildtiere ermöglichen. Natürlich können die Wildtiere wandern. Dass die Wanderungen von Reservat zu Reservat jedoch über kahl geweidete Steppen erfolgen, erzählen sie ihren Besuchern nicht. Das muss man sich mit eigenen Augen erschließen. Wir sehen durchaus einige Giraffen in diesen Zwischenräumen, was uns gar nicht verwundert. Die kargen Grasflächen interessieren diese Langhälse sowieso nicht, sie fressen ja die saftigen (und wenn’s sein muss auch trockenen) Blätter der hohen, dornigen Bäume. Giraffen haben es also leicht, sich in den verwüsteten Landstrichen zu bewegen. Dann fallen uns noch einige Zebra-Herden auf. Die hatten wir doch auch als Weidetiere in Erinnerung. Wir beobachten jedoch, dass die Zebras an den Büschen knabbern, die niedrig genug für sie sind, also zwei Etagen tiefer als die Giraffen. Ein Blick ins Tierbuch bestätigt unsere Beobachtung: Zebras können erstens noch sehr wenig nahrhafte Gräser verwerten, die von den meisten anderen Weidetieren verschmäht und übrig gelassen werden, und können zweitens, wenn auch diese nicht mehr vorhanden sind, auf Blätternahrung umsteigen. Natürlicherweise erfolgt diese Umstellung in der Trockenzeit, wenn das Gras verdorrt ist. Momentan ist aber Regenzeit, doch dank der Rinder ist dennoch kein Gras mehr verfügbar. Den Zebras ist der Grund egal, sie genießen sichtlich die Blätter.

Als wir uns einen Übernachtungsplatz suchen, zweigen wir von der kleinen Piste auf eine noch kleinere ruppige Piste ab. Es geht den Berg hinauf, teilweise mit mehr als 25% Steigung. Mit einem Schlag sind keine Weiden und Hirten mehr zu sehen, sondern relativ dichtes Gebüsch. Auf einer kleinen Lichtung sehen wir einige Zebras, dann auf mehreren Lichtungen verschiedene Gazellen-Arten. Es gibt sie also doch, die nicht überweideten Refugien für die Wildtiere, außerhalb der Schutzgebiete. Wir hatten hier in einer elektronischen Karte einen Campingplatz eingezeichnet gesehen, den wir jedoch nicht finden. Dann verstehen wir: Wir sind mal wieder in einem Jagdgebiet gelandet… Auch von diesen Gebieten erzählen einem die Tourenführer nichts, aber wenn man lange genug unterwegs ist und die Augen offen hält, wenn man versucht, nach verschämt in der Karte eingezeichneten Campingplätzen im Internet zu recherchieren, oder doch mal mit einem aufgeschlossenen einheimischen Insider ins Gespräch kommt, erkennt man, dass es rund um die Schutzgebiete in den durchlässigen Zonen alle Nase lang Jagdreviere gibt. Die werden nicht prominent ausgewiesen, man könnte leicht an ihnen vorbeifahren ohne sie als solche zu erkennen. Großwildjagd ist ja schon lange nicht mehr schick, sie findet also eher unter dem Radar statt. Wer dann die 20 Tausend Dollar Konzession einsteckt, die man angeblich für die Jagd auf einen Leoparden zahlen muss, und wer die mehrere Tausend Dollar für die Ausfuhr der Trophäe im Erfolgsfall, ist uns nicht ganz klar. Wir gehen davon aus, dass es besser ist, manche Dinge nicht zu genau zu wissen, aber die Bürger im Staat sind sicher die letzten, die von dieser zusätzlichen Einnahmequelle profitieren.

Wir fühlen uns im Jagdrevier sicher, freuen uns, nicht in einem Schutzgebiet auf Campingplätze gehen zu müssen, und suchen uns eine kleine Lichtung, auf der wir Kathrina parken, durch hohe Büsche von der Piste sichtgeschützt. Als ich mir nachts kurz die Beine vertreten will, flieht ein Tier, rennt im großen Bogen um Kathrina herum und enttarnt sich dann in deutlichem Abstand durch sein Geheul als Hyäne. Sie ist zwar vor mir geflohen, aber für den Fall, dass noch größere Räuber unterwegs sind, bleibe ich mit dem Rücken zu Kathrina stehen, beobachte die Sterne und verzichte aufs Beine vertreten. Eine wunderbare ruhige Nacht in der freien Natur, welch herrliche Abwechslung zwischen all den kultürlichen Erfahrungen, die einen im Norden Tansanias umgeben.

Ol Doinyo Lengai 17.02.2022

Ol Doinyo Lengai 17.02.2022

Der Ol Doinyo (Berg) Lengai (der Götter) im Norden Tansanias ist bei Vulkanliebhabern wohl bekannt, seit Jahrzehnten haben wir von ihm gelesen, Bilder und Reportagen angesehen, und geträumt… Ein perfekter Vulkankegel mitten in der weiten Steppe, dessen Flankenwinkel zum Gipfel hin 45 Grad steil wird. Er hat die basischste und dünnflüssigste Lava aller aktiven Vulkane, sie spratzt und fließt wie Wasser, und ist „nur“ 490…590 Grad heiß… Nachts kann man sie rot glühen sehen, doch tagsüber sieht sie einfach nur grau aus.

Nördlich des Ol Doinyo Lengai befindet sich ein See, der durch mehrere Zuflüsse aus den umliegenden Bergen sowie Regenwasser gespeist wird, aber keine Abflüsse hat. So wird kontinuierlich Soda von den ihn umgebenden Gesteinen und Vulkanaschen eingetragen, was ihm je nach Wasserstand einen pH-Wert von 9…10,5 beschert, wodurch er den Namen „Natronsee“ bekommen hat. Milliarden von Salinenkrebsen fühlen sich in ihm wohl, was wiederum Hunderte bis Tausende von Flamingos anzieht.

Zwei Besonderheiten, die uns magisch anziehen, wobei wir uns einig sind, dass wir den Vulkan nur von unten betrachten wollen. Erstens hat er bei seinem Ausbruch in den Jahren 2007 bis 2008 seine Kraterregion so verändert, dass man nicht mehr auf dem Kraterplateau zwischen den lavablubbernden Hornitos herumwandern kann, sondern am Kraterrand in ein unspektakuläres, 100 Meter tiefer liegendes Loch hinunterblickt. Zweitens gilt der Aufstieg als eine der beschwerlichsten Eintagestouren in Afrika, da 1.700 Höhenmeter auf immer steiler werdenden Flanken nachts zu überwinden sind, damit man bei Tagesanbruch oben ist, kurz die Lava aus der Ferne bewundern kann, und dann zügig wieder absteigen muss, bevor die unerbittliche Äquatorsonne zuschlägt.

Wir besuchen also den Natronsee, finden in seiner Umgebung auch die 120.000 Jahre alten Fußspuren, die sich seinerzeit in die Vulkanasche eingegraben hatten und mittlerweile verfestigt sind, und wandern am Nachmittag noch zu einem Wasserfall. Alles in Begleitung von Gideon, einem Massai- Führer, Denn in Tansania muss man nicht nur exorbitante Beträge für das Betreten von Nationalparks und Naturschutzgebieten entrichten, sondern man darf auch keinen Schritt ohne kostenpflichtigen Führer tun – man zahlt gewissermaßen für ein Gefängnis-Dasein. Dennoch war die Tour schön und spannend. Gideon meinte, wir müssten den Fluss ein paarmal knöchelhoch queren, um an den Wasserfall zu gelangen, doch es hatte die Nacht zuvor geregnet, und das Wasser erreichte mehrfach unsere Oberschenkel….

Am Tag darauf wollen wir abfahren. Zwar ist der Campingplatz sowie der Blick auf den Götterberg wunderschön, aber 110 US Dollar pro Nacht (davon 90 USD Parkgebühren) sind indiskutabel für einen reinen Ausruh-Tag.

Dann kommt beim Frühstück Tobias aus Hannover mit seinem jugendlichen Elan auf uns zu. Er will in der kommenden Nacht aufsteigen und morgen früh dann mit seinem Gleitschirm hinabfliegen. Wir sind beeindruckt, und es dauert nicht allzu lange, bis er uns infiziert hat. Nicht nur uns, sondern auch zwei nette Schweizer, sowie zwei Niederländer, die vor Kurzem den Kilimandscharo bestiegen hatten. Wir bleiben also noch einen Tag, packen die Wanderrucksäcke mit 4 Litern Wasser pro Person und vielen Kleidungsstücken zum Drüberziehen beziehungsweise Wechseln, denn oben erwarten uns Temperaturen um den Gefrierpunkt sowie starker Wind. Um 23:00 Uhr werden wir abgeholt und zum Ausgangspunkt des Aufstiegs gefahren. Um Mitternacht geht es mit Beleuchtung durch den Vollmond bei 30 Grad Celsius los.

Der Aufstieg ist vom ersten Schritt an anstrengend, die Steigung nimmt zu, gegen 0:30 Uhr beginnt es zu regnen. Recht bald lassen wir die jungen Leute mit ihren zwei Führern vorgehen und steigen mit GIDEON in etwas langsameren Tempo weiter auf. Anfängliches Wetterleuchten steigert sich zu einem beeindruckenden Gewitter am Berg der Götter. Blitze erhellen den steilen Weg zum Gipfel, gefolgt von Donnerschlägen in immer kürzeren Abständen.

Um 3:00 Uhr haben wir eine Höhe von 2.140 Metern erreicht und sind erschöpft. Ohne heftigen Regen hätten wir rasten und uns für die fehlenden 750 Höhenmeter erholen können. Doch wir sind völlig durchweicht, in den Wanderschuhen steht das Wasser und wir frieren beim Stehenbleiben. Also steigen wir nach nur kurzer Pause wieder ab. Auch die jugendliche Gruppe dreht auf 2.300 Metern um. Schade, wir hätten ihnen den Gipfelblick und Tobias das Hinabgleiten so sehr gegönnt, aber mit einem Gewitter der Götter ist nicht zu spaßen.

Völlig durchnässt und verfroren kommen wir noch im Dunkeln wieder heil zum Campingplatz, der nur kalte Duschen hat, sind aber dennoch alle begeistert von der der Tour. Insbesondere wir beide sind Tobias so dankbar, dass er uns motiviert hat, den Aufstieg zu wagen. Doch als uns die Niederländer ihre Fotos vom Kilimandscharo zeigen, lauschen wir zwar aufmerksam ihren Schilderungen, wissen aber, dass wir ihn ohnehin nur umrunden wollen. Wir sind weise genug, den Fingerzeig der Götter ernst zu nehmen…

Landrover-Rettung auf dem Weg zum Ol Doinyo Lengai 15.02.2022

Landrover-Rettung auf dem Weg zum Ol Doinyo Lengai 15.02.2022

In Tansania und Sambia könnte man alle fünf Kilometer einem LKW, PKW oder einem Fahrrad bei einer Panne helfen. Die Pisten aber auch die Asphaltstraßen fordern die Fahrzeuge. Repariert wird erst, wenn es wirklich nicht mehr weitergeht. Allen helfen können wir nicht. Wir entscheiden also immer sehr überlegt, ob wir halten und unsere Hilfe anbieten.

Auf der sehr fordernden Piste vom Manyara-See zum Ol Dionyo Lengai steht ein alter Landrover, fast so alt wie Kathrina, und kann nicht mehr. Ein Erwachsener und zwei halbwüchsige Jungs mühen sich vergeblich, den alten Kasten wieder flott zu kriegen.

Landrover – hm – alte Technik (also reparierbar), nächster Ort 20 km entfernt, Piste schlimm, Steigungen. Helfen tut hier sowieso niemand. Also los!

Das betagte Gefährt lässt sich nicht mehr starten. Batterie? Zündung? Lichtmaschine? Ein Starthilfekabel haben wir nicht dabei (unserem 24V-System kann eh keiner Starthilfe geben und nur für andere nehmen wir das sperrige Kabel nicht mit), also versuchen wir es mit unserer Powerbank, die dafür geeignet ist. Außer Benzingeruch vom abgesoffenen Motor tut sich fast nichts. Ankurbeln bringt uns auch nicht weiter. Mein Vorschlag, den Landy mit Kathrina anzuschleppen wird nicht verstanden – hier spricht man kein Englisch (!) Aber wir schleppen ab. Wie weit? Ein Ort wird genannt. Hm, wie viele Kilometer sind das? Falsche Frage. In Afrika sind sinnvolle Fragen weniger abstrakt zu stellen, wie z.B. bis zu welchem Hügel… Egal, Abschleppgurt heraus und der Landy kommt an das Zugmaul von Kathrina.

Hoffentlich weiß der Fahrer, wie man abschleppt. Verständigung geht nur mit Händen und Füßen oder mit Gesten. Hoffentlich tun seine Bremsen!

Mit Untersetzung geht es los. Der Bergegurt strafft sich, ein unmerklicher Ruck und der Landy wird über die Piste gezogen. Geht doch leicht! Nach drei Kilometern stoppen wir. Der Fahrer bedeutet mir, noch drei Hügel weiter zu schleppen, dann ginge es abwärts und er könne den Wagen rollen lassen. Also weiter bis zur verabredeten Kuppe, wo der Gurt von Kathrina gelöst wird. Anschieben und talwärts geht es ab.

Wir fahren hinterher. Im Tal ist eine steile und ausgewaschene Flussdurchfahrt zu nehmen. Erst geht es steil abwärts und dann muss man über grobes Geröll den nächsten Berg erklimmen. Schon ohne Gespann eine Herausforderung. Wir nehmen also den Landy wieder an den Haken und meistern im Kriechgang diese schwierige Passage. So geht es weiter. Talabfahrten ohne Kathrinas Hilfe, durch Furten (es sind einige!) schleppen wir ihn durch. Die Kraft von Kathrina beeindruckt uns. Mit welcher Leichtigkeit sie den alten Geländewagen über Stock und Stein, besser gesagt Geröll, die steilen Bergauffahrten zieht. Der Rest ist nur Konzentrationssache. Da der Landy schmaler ist als Kathrina, sehe ich ihn nicht. Also nur durch Gefühl weiß ich, ob der Bergegurt straff gespannt ist oder locker durchhängt.

Nach 20 km erreichen wir den Ort. Wir erzeugen mit unsere Ankunft einen Auflauf im Dorf. Es ist nicht üblich, sich gegenseitig abzuschleppen. Von Touristen erwartet man das erst recht nicht. Wir kommen ins Gespräch mit etlichen Einheimischen. Wo kommt ihr her? Ist das wirklich euer Zuhause? Auch der Chef des Dorfs kommt auf uns zu. Ein sehr höfliches Gespräch bereichert uns alle. Einige können nämlich Englisch.

Ilona geht inzwischen Einkaufen. Mir lässt der Landy allerdings keine Ruhe. Inzwischen haben einige Einheimische sich der Sache angenommen. Die Batterie wird getauscht, der Landy startet einwandfrei. Sobald die alte Batterie wieder angeschlossen wird, stirbt der Motor! Die Batterie muss einen totalen Zellenkurzschluss haben. Ich helfe nochmals beim Anschieben und freue mich mit allen Anderen, dass der Landrover wieder läuft.

Ruaha-Nationalpark 9.2.2022

Ruaha-Nationalpark 9.2.2022

„Der Ruaha ist wegen seiner isolierten Lage einer der am wenigsten besuchten Wildparks Tansanias. Über Straßen ist er kaum zu erreichen, …“ steht in unserem Safari-Reiseführer. Die Piste, die dorthin führt, wird in der iOverlander App als „never ending dirt road“ bezeichnet.

Wir befragen Kathrina, ob sie uns dorthin schaukeln will, und sie brennt nach so vielen Teerstraßen in Sambia (mehr Loch als Teer…) und Tansania (gut geteert, aber unübersichtliches Verkehrstreiben) wieder auf ein Abenteuer auf von der Regenzeit ausgewaschenen Pisten mit weit mehr Fußgängern als motorisierten Verkehrsteilnehmern.

Also nichts wie hin! Dass wir nur vier Stunden für 70 Kilometer gebraucht haben, zeigt doch, dass die Piste nicht durchgehend ganz so schlimm war. Wo sie aber schlimm war, haben wir alle drei gebangt, die Luft angehalten und uns bei Schräglagen alle auf eine Seite gelehnt, um nicht zu kippen… Auf dieser Piste haben wir auch die ersten Massai gesehen. Zuerst kam eine riesige Herde von Rindern, dann die ersten hochgewachsenen schlanken Hirten in ihren langen Roben mit Gürtel und Schwert, mit langen Wanderstöcken und charakteristischem Schmuck. Eine Szene aus einer anderen Zeit, einer anderen Welt. Zwei dieser stolzen Hirten waren jedoch in der Moderne angekommen – sie hielten bettelnd uns die Hand hin.

Spätabends finden wir kurz vor dem Parkeingang eine wunderbare Bleibe in der Ruaha Hilltop Lodge – von der schlimmen Piste geht es noch zwei schaukelige Kilometer durch teilweise tiefhängendes Gestrüpp den Berg hinauf. Oben genießen wir eine phantastische Aussicht auf den Nationalpark, der sich von 750…1.868 m.ü.N.N. erstreckt. Die Hügel im Park gehören zum östlichen Arm des Großen Afrikanischen Grabenbruchs. Von der Bar aus kann man viele davon im letzten Abendlicht bewundern, bei einem – nein zwei – „Kilimanjaro“-Bieren. Weder der Besitzer noch die Angestellten haben jemals ein solches Heim auf vier Rädern wie unsere Kathrina gesehen, sie sind nicht auf Campinggäste eingestellt, heißen uns aber herzlich willkommen („Karibu“) und lassen uns hocherfreut über den unerwarteten Besuch auf dem Parkplatz übernachten.

Die wilden Pisten im Nationalpark ersparen wir Kathrina – wir gönnen ihr einen Ruhetag und uns am nächsten Morgen einen Fahrer und einen Safari-Führer, die uns gleich bei Tagesanbruch in deren Landcruiser in die zauberhafte Landschaft entführen. Von der offenen, zugigen Pritsche aus sehen wir viele Impalas, Kudus, Rappenantilopen und auch einige der mini-kleinen scheuen Dik-Diks. Letztere immer paarweise, sie bleiben ein Leben lang zusammen. Im Fluss lungern und schnauben einige Hippos, ein Krokodil schwimmt vorbei. Da fällt Moses, unserem Safari-Führer, plötzlich auf, dass wir ganz dicht am Ufer stehen. Ich hatte nach Hippo-Spuren gefragt, und er hat sie uns gezeigt – die Abdrücke der vier dicken Zehen im Uferschlamm und einige Hippo-Haufen, die selten sind, da die Hippos ihren Dung normalerweise mit den Schwänzen versprühen und so ihr Revier sowie ihre nächtlichen Wanderwege markieren. Über unser Interesse hat er ganz vergessen, dass man im Park ja das Auto nicht verlassen darf. Schnell entern wir also wieder auf, vollzählig, niemand vom Krokodil verspeist. Dann sehen wir einige Giraffen mit ungewohnt straffem Fell (die bisherigen Giraffen waren allesamt sehr faltig gewesen) und ganz „ausgefransten“ braunen Flecken – die Massai-Giraffen, die hier in Tansania und in Kenia vorkommen. Für Nervenkitzel sorgen auch zwei große männliche Löwen mit schwarzer Mähne, also nicht die „kleinwüchsigen“ braunmähnigen Löwen aus dem Etoscha-Park. Ganz dicht fährt Patrick, unser Fahrer, an sie heran, und unser anfänglicher Nervenkitzel (offene Pritsche versus geschlossene Kathrina) legt sich schnell, als sie sich zärtlich zusammen kuscheln, die Wangen aneinander reiben, und einer der Beiden sich auf den Rücken dreht und sich – vom anderen Löwen, nicht von uns – am Bauch kraulen lässt. Trotz der imposanten Größe sind es also doch nur verspielte Schnurrkater… Wir sehen auch einige Elefantengruppen. Da der Ruaha-Fluss in diesem Jahr trotz Regenzeit sehr wenig Wasser führt, zieht die größte Elefantenpopulation Tansanias, die hier ansässig ist, nicht wie sonst in großen Herden, sondern in kleinen Gruppen durch den Park, denn die verstreuten Pfützen, welche die Tiere in diesem Jahr vorfinden, würden für den Durst einer großen Herde nicht ausreichen. Im Gegensatz zum Addo oder Etoscha wurden hier keine künstlichen Wasserlöcher angelegt, um das Wild an bestimmte Orte zu locken, die Tiere haben hier also wirklich nur die natürlichen Wasser- und Futterquellen. Der Park ist auch nicht eingezäunt, die Tiere können also nach Herzenslust (oder besser gesagt nach dem Futterangebot) ein- und auswandern. Daher ist hier die kundige Führung sehr hilfreich für die Tiersichtungen.

Landschaftlich sind wir auch völlig hingerissen. Dichte Wälder wechseln sich ab mit Savannen, Flussbetten und offenen Hügellandschaften. Der Tag ist wolkenverhangen, wir haben also nicht die starken Kontraste und Schatten eines Sonnentages, sondern genießen die zarten Farbtöne und das gleichmäßige Licht. Nur während des Mittagvespers regnet es, danach geht es auf den nass gewordenen Pritschen weiter. Erstmalig sehen wir viele der skurrilen Baobabs, deren Stämme nicht selten mehr als 4 m Durchmesser haben. Der Baobab oder Afrikanische Affenbrotbaum ist eine sukkulente Pflanze, die in ihrer Rinde Wasser speichert. Viele Wüstenbewohner zapfen in der Trockenzeit direkt den Wasservorrat der Bäume an, um ihren Flüssigkeitsbedarf zu decken. Aber auch Elefanten nutzen den Wasserspeicher, indem sie die Rinde der Baobabs aufbrechen, um an die feuchten Fasern im Bauminnern heranzukommen. Dabei entstehen große Hohlkörper, viele der Baobabs haben also „Fenster“, durch die man hindurchsehen oder gar -klettern kann, und die früher von den Buschleuten als Vorratsspeichesr oder Verstecke genutzt wurden.

Voll neuer Eindrücke und neuem Wissen kommen wir abends auf die Lodge zurück, erzählen Kathrina von unseren tollen Abenteuern und den schrecklichen Pisten, und lassen diesen tief beeindruckenden Tag bei einem „Safari-Lager“ auf der Veranda ausklingen, mit versonnenem Blick auf den Park.

Der Abschied vom Lodge-Team am nächsten Morgen dauert weit über eine Stunde. Kathrinas Innenleben wird besichtigt und bestaunt: Küche, Ess-, Wohn- und Schlafzimmer, Bad, Bibliothek, Ersatzteillager und Werkstatt – alles auf so kleinem Raum. Patrick klettert ins Führerhaus – und stellt erstaunt fest, dass rechts kein Lenkrad, sondern der Beifahrersitz ist. Dann fotografieren sie Kathrina vor der Lodge – jeder muss mal fotografieren, jeder darf sich mal davorstellen. Da es regnet all dies mit bunten Regenschirmen. Nie zuvor hatten wir uns so willkommen und von Herzen aufgenommen gefühlt. So werden uns die Tage im Ruaha-Gebiet nicht nur wegen des großartigen Parks, sondern auch wegen der intensiven menschlichen Begegnungen in Erinnerung bleiben.

Quirliges Tansania 3.-8.2.2022

Quirliges Tansania 3.-8.2.2022

Der Grenzübergang von Sambia nach Tansania war mal wieder ein Abenteuer, nach der Grenze mal wieder ein völliger Mentalitätssprung.

Den mehrstündigen Aufenthalt in dem Grenzgebäude zwischen Nakonde und Tundela komprimiere ich in einen Satz: Sämtliche Büros sind in einem modernen Gebäude unter einem Dach untergebracht, allerdings weder nach Ländern noch inhaltlich (Immigration der Personen, Zoll, Kfz-Abgaben und -Versicherungen) sortiert und schon gar nicht ausgeschildert, was uns eine mehrstündige Odysee von Pontius zu Pilatus bescherte, zwischendurch wurde Kathrinas Inneres mit Chlorlösung aus der Gartenspritze desinfiziert.

Dann tauchen wir in eine neue Welt ein. Während die Sambier ruhig, lächelnd, Jahrhunderte zurück, also unmotorisiert unterwegs waren, ist hier fast jeder mit Moped, Tuctuc oder noch mehr PS unterwegs, natürlich immer ein Smartphone am Ohr. Die wenigen Fußgänger und Radfahrer müssen hier schnell wegspringen, egal wie beladen sie sind – außer Kathrina macht niemand einen Bogen um sie herum. So verträumt und verschlafen Sambia war, so quirlig und dynamisch fließt hier alles umeinander herum. Und völlig Multikulti, jeder hat ein anderes Lebens- und Fortbewegunskonzept.

Immerhin gibt es noch die ansprechenden Straßenstände mit leckerem Gemüse. Supermärkte gibt es hier gar keine mehr. Es gibt selbst in den Städten nur kleine Läden, ohne Beschriftung, das Sortiment muss man in jedem Laden neu erfragen, es gibt also keine Ladentypen. Dafür sind die Läden so klein, dass man das Warenangebot schnell durchgesehen hat, und mit etwas Übung dauert das Einkaufen hier auch nicht länger als im Supermarkt. (Nach 10 Tagen finden wir in Dodoma einen Supermarkt, der alles unter einem Dach hat, es soll weitere in Arusha und Dar-es-Salaam geben).

Erfreulich ist, dass das Warenangebot der konfektionierten Waren sich sprunghaft ändert. Während die Getränke, Milchprodukte, Reis, Mehl, Gewürze, Dosengemüse von Südafrika über Namibia bis Sambia von den gleichen Firmen stammten (wobei die Bandbreite an Marken und Sorten immer dünner wurde), ist hier alles anders. Der Markt ist nach Nordafrika, Kleinasien und Fernost ausgerichtet: Anstatt Oregano, Rosmarin und Italian Herbs finden wir eine Riesenauswahl an Gewürzen, meist nur in arabischer Schrift gekennzeichnet. Aber der Duft dringt durch die Packung, sodass wir sofort riechen, was wir kaufen wollen. Als ich nach „rice“ frage, teilt mir die Besitzerin von 2*2 qm Ladenfläche mit, sie habe keinen – doch ich finde direkt hinter ihr einen Sack mit etwa drei Kilo Reis, rundum mit chinesischen Zeichen beschriftet. Über die Kochzeit kann mir die Ladenbesitzerin nichts sagen – egal, wird gekauft und ausprobiert.

Neben christlichen Gotteshäusern sieht man immer mehr Moscheen. Als wir einmal in der Stadt Iringa auf einen Campingplatz gehen, ruft uns der Muezzin um 16:00 Uhr, 19:00 Uhr und 05:00 Uhr zum Gebet.

Unsere erste Übernachtung ist jedoch so richtig auf dem (Hoch-)Land in einer Coffee-Lodge. Feinste Hochland-Cafés werden rundum angebaut, Mangos wachsen im Garten, und so gönnen wir uns hier vier Nächte lang einen Camping-Bungalow: ein großes Haus mit hohen Decken, zwei Schlafzimmern und zwei Bädern, einem großen Aufenthaltsraum mit Esstisch sowie einer Couch-Ecke und einer großen Küche mit Backofen! Der Bungalow ist gerade mal 20% teurer als Camping auf einer schattenlosen Wiese, daher gönnen wir Kathrina eine Auszeit von uns, und haben so richtig Zeit, sie gründlich zu putzen, was nicht ganz so gut gelingt, wenn man in der Regenzeit in ihr wohnt und ständig Feuchtigkeit einträgt. An zwei von vier Tagen haben wir sogar Strom, an den anderen beiden Tagen ist die gesamte Gegend fast ganztägig ohne elektrische Energie… Am ersten Tag haben wir morgens um 10:00 Uhr gerade ein Brot in den Backofen geschoben, als der Strom ausfällt. Ich laufe zur Rezeption und erzähle ihnen von unserer Misere. Kurzerhand erlaubt uns die Managerin, das Brot im Ofen des Restaurants fertig zu backen, das ist nämlich an den Generator angeschlossen. Die Köchin ist zunächst etwas skeptisch, als wir unseren „Potje“ (einen gußeisernen Topf mit Henkel) bringen und ihren Ofen stellen, und alle Wählschalter des Ofens verstellen. Als wir ihn eine Stunde später wieder holen und den Deckel lupfen, ist sie vom Anblick und vom Geruch ganz hingerissen. Hier kennt man nur die angelsächsische Weißpappe, ein braunes rundes Brot mit Kruste hat sie noch nie gesehen. Als Torsten ihr dann nach dem Ruhen eine noch warme Kostprobe mit Butterflöckchen bringt, ist sie begeistert. Als um 19:00 Uhr wieder Strom kommt, backt Torsten einen Zuckerkuchen für die nächsten Frühstücke. Am zweiten Tag backen wir eine Pizza, am dritten Tag ist wieder ganztags Stromausfall. Immerhin funktioniert der Gasherd – wir können also all die Gemüsevorräte ratzeputz leerkochen, und so einen Grundzustand in Kathrina herstellen, um bei der Weiterfahrt wieder die Marktstände plündern zu können.

Am ersten Tag machen wir noch einen typischen Anfängerfehler: Wir hatten während der Campingphase auf Tee und löslichen Kaffee zurückgegriffen. Hier bereiten wir uns natürlich den leckeren Kaffee der Farm zu, mit einer Stempelmaschine aus dem Bungalow. Nur die ganzen Bohnen werden für den Spitzencafé ausgelesen, nicht die kleinen oder zerbrochenen, sodass alle Bohnen absolut gleichmäßig geröstet sind, was einen besonders feinen, gleichzeitig intensiven aber milden Geschmack zur Folge hat. Der Café ist so mild, dass wir morgens, mittags und abends je zwei bis drei Tassen trinken. In der folgenden Nacht tun wir dementsprechend kein Auge zu. Am zweiten Tag sind wir dann schlauer…

Tanganjika-See 28.1.-2.2.2022

Tanganjika-See 28.1.-2.2.2022

Aquarianer kennen viele farbenfrohe Buntbarsch-Arten, die den Tanganjika-See als Heimat haben. Er ist das größte Süßwasser-Reservoir Afrikas, das zweitgrößte weltweit nach dem Baikalsee, und das, obwohl er an keiner Stelle mehr als 80 km in Ost-West-Richtung misst. Er liegt im westlichen Arm des Großen Afrikanischen Grabenbruchs, einer Riftzone, die auseinander driftet. Vermutlich wird er sich in ferner Zukunft mit dem Malawi-See verbinden und ein neues Meer ausbilden. Er liegt auf 780 m Höhe und ist an der tiefsten Stelle über 1.400 m tief, reicht also weit unter den Meeresspiegel. In den tieferen Schichten beherbergt er fossiles Wasser, das seit der Prähistorie keinen Kontakt mehr mit der Erdatmosphäre oder Oberflächengewässern hatte.

Wie spannend – also nichts wie hin!

Von über 1.700 m schlängelt sich Kathrina bis zum See hinab. Doch unsere Hoffnung auf einen schönen Überblick aus der Höhe erfüllt sich nicht – zu üppig ist die Vegetation beiderseits der Straße in der Regenzeit. Ab und zu blitzt etwas Blau zwischen den grünen Bäumen hindurch, und plötzlich (genaugenommen nach 1 km Macheten-Hackerei und mehreren abgesägten Ästen bei der Zufahrt zum Campingplatz) breitet er sich 10 m vor Kathrina aus. Wir stehen am Südufer, am nördlichen Horizont ist nur eine waagrechte Wasserlinie zu sehen, da das Nordufer so weit entfernt ist, wie Bremerhaven von Leopoldshafen. Ost- und Westufer sind von dicken Wolkenschwaden verhangen, erst in zwei Tagen werden wir einen klaren Blick auf die beiden Küsten bekommen: Die steil abfallende Westküste an der Grenze zum Kongo, sowie die grüne Ostküste in Tansania.

Einige Fischerboote sind auf dem See, meist mit zwei Ruderen und einem Steuermann. Keine Einbäume, sondern richtige Boote. Die Boote für den Personentransport sind etwas größer und motorisiert, doch nicht jedes Boot hat Treibstoff, einige Passagiere werden auch gerudert.

Das Wasser ist glasklar, keinerlei Algen oder Wasserpflanzen an diesem Küstenabschnitt, die großen braunen Uferkiesel kann man noch mehrere Meter weit im Wasser klar erkennen. Die Lichtstimmungen, die wir hier in 6 Tagen erleben, sind vielfältig und überraschend. Dunkelgraue Regenwolken, strahlend blauer Himmel (öfters, aber immer nur von kurzer Dauer), weiße Nebelschwaden wechseln sich mehrfach am Tag ab. Bei Sonnenauf- und -untergang wird oft jeweils nur eine einzige Wolke selektiv orange angestrahlt, sodass sie sich von dem stahlgrauen bzw. -blauen Himmel abhebt. Auch zartgrüne Farbtöne bekommen wir auf dem See zu sehen, und natürlich eine Vielzahl von Regenbögen… Die Wasseroberfläche variiert von spiegelglatt bis zu stark aufgewühlt mit über einem Meter hohen Wellen in in sehr kurzer Dünung, entsprechend dem Wetter von absolut windstill bis verdammt stürmig.

Der Campingplatz ist sehr rudimentär, eigentlich kann man nur die Toilette nutzen, in der man dann mit einem Eimer Wasser aus dem See abspült, aber diese Infrastruktur reicht uns völlig – und vermutlich sind wir deshalb die einzigen Gäste hier uns mit dem faszinierenden See allein. (Nur in der letzten Nacht kommt Burkhard vorbei, der vor vielen Jahren nach Sambia ausgewandert ist, in Kabwe eine Lodge hat und Motorrad-Safaris anbietet. Wir wollen ihn auf der Rückfahrt besuchen, dann also mehr über diesen quirligen Tausendsassa.)

Es gibt auch zwei schilfgedeckte Pavillons – einer mit einem hohen Tisch und hohen Stühlen – hier kochen und essen wir -, ein weiterer mit einem Couchtisch und mehreren niedrigen Sesseln, wo wir nach dem Essen unseren Café einnehmen. Alles aus wetterfestem Holz, die Plattformen der Pavillons standen mal weit vom Seeufer entfernt, nun liegt der See uns beim Essen im wahrsten Sinne des Wortes zu Füßen, und beim Sturm am letzten Tag werden die Plattformen völlig überspült, sogar die Tische werden nass… Der Seespiegel ist in den letzten Jahren gestiegen, erzählt uns Celestine, die den Campingplatz nach bestem Wissen und Gewissen managt. Die Baumstümpfe, die wir in Ufernähe sehen, waren vor wenigen Jahren noch ihre Mango-, Papaya- und sonstige Bäume, die heftigen Regenfälle der letzten Jahre fordern jedoch ihren Tribut. Viele Sandstrände in der Umgebung sind völlig verschwunden. Celestine ist eine der wenigen im Ort, die für uns verständliches Englisch sprechen, mit den meisten anderen geht es eher per Hand und Fuß, aber man findet sich mit Gesten zusammen.

Der Campingplatz ist umgeben von einem „Ort“, der aber keinerlei Struktur hat – es gibt nur Pfade, entlang derer ab und zu Häuser liegen. Immerhin Steinhäuser mit Rieddächern, also ein gewisser Komfort. Wasser zum Waschen, Trinken, Kochen wird vom See geholt, Wäsche wird im See gewaschen und auf den Steinen zum Trocknen ausgelegt.

Am ersten Tag sind wir erschöpft von der Fahrt, am zweiten Tag fordert Kathrina einige technische Dienste von uns, sodass wir an den ersten Tagen den ruhigen, abgeschirmten Campingplatz kaum verlassen. Fischerboote fahren vorbei. Zunächst mit gebührendem Abstand, dann immer näher, und ab dem zweiten Tag „kennt“ man sich und winkt sich zunächst zurückhaltend, dann fröhlich zu. Einige Fischer rudern zu uns und zeigen uns ihren Fang. Die Fische, die man bei uns für teuer Geld für das Aquarium kaufen kann, sind hier ein kleiner Happen zum Frühstück, und etwas enttäuscht nehmen sie zur Kenntnis, dass wir auch an ihren größeren Fischen kein kulinarisches Interesse haben. Zwei Jungs kommen angerudert, Torsten hält fragend die Kamera hoch, und sie zeigen, dass sie fotografiert werden wollen. Dann kommen sie an Land, der Ältere holt ein altes Handy mit Foto-Funktion hervor (viele Generationen vor den Smartphones), öffnet es und überreicht Torsten die SD-Karte. Er will erfreulicherweise kein Geld, sondern Kopien der Fotos. Die beiden Halbschalen des geöffneten Geräts wirft er auf die nassen Fische, mir wird ganz anders, aber das Gerät ist diese Wasser-Behandlung offensichtlich gewohnt. Der Akku ist nicht mehr original, irgendjemand hat hier abenteuerliche Lötarbeiten verrichtet, nach dem Zusammenbau zeigt das kleine Display tatsächlich die Fotos an und die beiden ziehen froh von dannen.

Am dritten Tag ist Sonntag. Zeit für einen ausgiebigen Spaziergang durch das Dorf. Bei einer der ersten Hütten lässt eine Frau ihren Gemüsestand unbeaufsichtigt, und ernennt sich kurzerhand zu unserer Führerin. Die Kinder sehen uns und bald haben wir eine fluktuierende Eskorte aus 30…50 Kindern um uns herum. Unter einem großen Schattenbaum sind zwei Tische mit Dame-Spielen aufgestellt, konzentriert und flink spielen einige größere Jungs das Spiel. Die Spielsteine bestehen aus gleichfarbigen Getränke-Deckeln, die Bretter sind selbst gemalt. Wir ziehen weiter bis zum Marktplatz. Etwa 10 Frauen und 2 Männer singen Gospel vor den Markthallen, wir kaufen Gemüse ein, unsere Führerin sorgt dafür, dass sie uns die frischen Tomaten und Kohlköpfe geben. Wir hören dem Gospel-Chor noch etwas zu, und schlendern dann mit unserem Geleitzug wieder zum Campingplatz. Unsere Führerin erklärt den Kindern, dass sie uns nicht auf den Campingplatz folgen sollen, was diese zu unserem Erstaunen befolgen. Sie selbst kommt mit, spickelt verschämt in Kathrina (da hat sie im Ort was zu berichten!) und fragt dann Celestine, was Seife auf Englisch heißt. Das ist ihre Bitte für ihre Begleitung – ein bisschen Seife zum Wäsche waschen. Wir füllen ihr unser blaustes Waschmittel in eine leere Pumpspray-Flasche, mit der sie stolz abzieht.

Als wir am vierten Tag wieder in den Ort gehen, ist unsere Begleiterin sofort wieder zur Stelle, doch wir bedeuten ihr mit Händen und Füßen, dass wir heute allein sein wollen. Das respektiert sie, lacht und winkt zum Abschied, und so gehen wir allein mit einer Horde Kindern durch den Ort. Torsten hatte ein Foto von den Dame-Spielern gemacht und es ausgedruckt und mit Tesafilm laminiert. Bei den Bäumen sitzen die Jungs wieder und spielen konzentriert, sie schauen zunächst kaum auf. Als Torsten das Foto an den Baum heftet, gruppiert sich sofort eine Traube drumherum, die Spieler unterbrechen kurz ihr Spiel, lachen freudig über das Foto von ihnen – und spielen nach kurzer Unterbrechung weiter. Wir ziehen weiter zum Marktplatz und fragen dort, wo die Schule ist. Einer der Jungs aus unserem Geleit geht schon zur Schule, er führt uns dorthin. Unterwegs sehen wir einen Schmied – während Torsten sich von ihm seine Arbeitsweise zeigen lässt, lenke ich die Kinder mit unserem Fotobuch ab, damit sie dem Schmied nicht vor lauter Aufregung die Maispflanzen in seinen Vorgarten zertrampeln. Bei der Schule angekommen ist um 16:30 nur noch der Nachtwächter dort, er meint, wir sollten am nächsten Morgen um 8:00 Uhr wieder kommen.

Was wir natürlich tun. Am fünften Tag besuchen wir zunächst den Rektor, erklären ihm wer wir sind, und dass wir uns für seine Schule interessieren – und dürfen dann in alle Klassen hineinschnuppern: in die Vorschule, in der die Kinder auf gemeinschaftliches Arbeiten eingestimmt werden, in die Grundschule, in der 64 Kinder verschiedenen Alters zusammen lernen (lachend und lärmend), und in die weiterführenden Klassen, wo dann nur noch etwa 20 Jugendliche einen anspruchsvollen Unterricht bekommen, hier ist die Stimmung ernst und konzentriert. Eine bereichernde und ergreifende Erfahrung – wir wünschen den lernwilligen jungen Menschen und deren Lehrern, die unter sehr einfachen Rahmenbedingungen einen großartigen Einsatz bringen, von Herzen alles Gute für ihre Zukunft. Ein spannender Ort, an dem Idealismus, Pragmatismus und Lebensfreude aufeinander treffen.

Zauberhaftes Sambia: Endlich in Afrika! 11.-27.1.2022

Zauberhaftes Sambia: Endlich in Afrika! 11.-27.1.2022

Der Grenzübergang von Namibia nach Sambia war ein unerwarteter, aber innigst ersehnter Kulturschock: Zufriedene, fleißige Menschen, die ihre Äcker beiderseits der Straße beackern, erstaunt aufsehen und dann fröhlich winken, wenn Kathrina vorbeischaukelt, und an ihren Straßenständen eine vielfältige Auswahl an leckeren Gemüsen darbieten. Wenn ein Fahrzeug in der Nähe der Stände vom Gas geht, werden ganz schnell noch die lebendigen Hühner aus den geflochtenen Körben geholt, und flinke Jungs rennen barfuß mit je einem Hahn in der Hand den Fahrzeugen hinterher (meist LKW-Schwerlasttransporte, denn PKWs gibt es kaum) und schaukeln winkend die Tiere, die entsprechend lebhaft flattern.

Und vor allem: Wenig Zäune! So lernen wir Sambia als sympathisches freies Land kennen, in dem man gewohnt ist, Gemeindeland zu teilen. Auf den Straßen flanieren Menschen mit tiefschwarzer Hautfarbe und bunten Kleidern. Gegen den Regen schützen die Frauen ihre Köpfe mit bunten Tüchern, die Männern mit allem, was die Altkleidersammlung hergibt: Zipfelmützen, Skimützen, Bommelmützen – je altmodischer in Europa, desto begehrter hierzulande. Einige (vor allem die Frauen) tragen ihre Last (meist Wasser oder Lebensmittel) mit Körben oder gar schwere Tonnen auf dem Kopf, die Kinder in Tüchern auf den Rücken gebunden. Andere (vor allem die Männer) fahren Fahrräder in abenteuerlichem technischen Zustand, und sind für den Lastentransport von Kohlen oder technischem Gerät zuständig, mit äußerst kreativen Methoden der Ladungssicherung. Bis zu acht große Bierkästen lassen sich auf einem Fahrrad transportieren. Die modernen Väter binden sogar noch ihren Nachwuchs mit einem bunten Tuch ans Lenkrad.

Wir sind so froh, dass wir uns kurzerhand entschlossen haben, weiter nach Sambia hineinzufahren als nur bis zu den Viktoriafällen, die auf jeden Fall ein sehenswertes Naturwunder darstellen. Im „normalen“ Sambia geht uns so richtig das Herz auf, und wir verstehen plötzlich, dass so viele Reisende so vernarrt in Afrika sind. Einen Reiseführer dieses Landes haben wir (glücklicherweise) nicht, die meisten Nationalparks stehen wegen der Regenzeit ohnehin unter Wasser. Wir haben anderen Reisenden ihre Sambia-Landkarte abgekauft, fahren drauflos und fragen uns durch. Wie herrlich!

Bereits der Caprivi-Zipfel in Namibia war fast ausschließlich von Schwarzafrikanern bewohnt, und auch dort haben wir fröhlich winkende Menschen erlebt. Doch wenn man etwas tiefer ins Gespräch kam, hatten wir immer den Eindruck, dass unser Gegenüber uns aufgrund unserer bleichen Hautfarbe – ganz unbewusst – als Repräsentant der reichen herrschenden Klasse im Land ansah, und nach anfänglicher Fröhlichkeit kam die Klage über ihre schwierige Lebens-Situation durch, oder Kinder liefen uns hinterher und bettelten nach „Sweeties“.

Die Sambier hingegen begegnen uns (zumindest im Süden und Zentral-Sambia) völlig unvoreingenommen. Sicher sehen sie sofort, dass wir Ausländer sind, aber wir sind eben Ausländer, die von noch weiter her kommen als diejenigen aus Tansania oder Botswana, und das erklärt auch, dass wir noch viel fremdartiger aussehen. Sie reden mit uns über ihr wunderbares Land, die üppige Natur, die viele Ernten ermöglicht, und über ihr leckeres Gemüse. Keiner klagt, wenige betteln. Alle sind freundlich, fröhlich, arbeitsam, die Menschen wirken in sich ruhend, ausbalanciert und mit ihrem einfachen Leben erfüllt. Und die Gemüse! Nach drei Monaten mit Zwiebeln, Kartoffeln und Büchsenerbsen quellen uns hier die Augen über! Wir finden Spinat, Tomaten, Paprika, Auberginen (große violette runde sowie zwergwüchsige weiße) und vielerlei uns unbekannte Gemüse, deren Namen ich schon beim Einsteigen in Kathrina wieder vergessen habe, und die wir in der Regel schon gekocht und verschmaust haben, bevor wir wieder Internet-Empfang haben, wo wir die Namen nachschlagen könnten. Klar sind die Gemüse krumm gewachsen, manchmal etwas hutzelig und einige muss man gut ausschneiden, denn von Güteklassen haben sie noch nie etwas gehört. Aber vielleicht sind sie gerade deshalb so lecker!

Sambia macht uns auch so richtig Lust auf noch mehr Afrika – wir recherchieren einmal mehr, ob man über die Ostafrika-Route bis nach Hause fahren kann. Doch in Äthiopien herrscht wegen religiöser Fundamentalisten seit November der Ausnahmezustand, und aktuell sind die Grenzen auf dem Landweg von Kenia geschlossen. Zwischenzeitlich wird auch der Sudan unsicher und die Grenzen sind geschlossen. Wir verabschieden uns nun endgültig und schweren Herzens von dem Traum, mit Kathrina von Port Elizabeth nach Port Leopold zurückzutuckern. In welche weiteren Länder unsere Reise uns noch führen wird, steht derzeit noch in den Sternen, die wir wegen der wolkenverhangenen Regenzeit seit Jahresbeginn kaum zu Gesicht bekommen haben. Auf jeden Fall bereichert uns das beschauliche einfache Leben der Landbevölkerung im dünn besiedelten Sambia extrem. Uns ist durchaus klar, dass unsere positiven Begegnungen mit den Sambiern sehr an der Oberfläche kratzen. Denn dass hier keinerlei paradiesischen Zustände herrschen, wird einem spätestens dann klar, wenn man aus sehr gelben Augen fröhlich angestrahlt wird. Hepatitis ist hier ganz offensichtlich allgegenwärtig, und viele andere Krankheiten sicherlich auch. Die Hälfte aller Einwohner ist jünger als 20 Jahre.

Das Klima ist weniger drückend als befürchtet. Durch den Regen bzw. die Bewölkung haben wir nachts 20…25°C, und tagsüber selten über 30°C. Bei diesen Temperaturen ist auch die relative Luftfeuchtigkeit von 70…80% noch erträglich. Wir fahren teilweise abseits der geteerten Durchgangsstraßen von Stausee zu Stausee, übernachten mal an einem Bootclub mit Camping-Wiese, mal frei an einem Seeufer, dann wieder frei hinter einer Kirche. Die Menschen halten respektvoll Abstand. Wenn wir fragen wollen, ob wir hier übernachten dürfen (wie wir es bei der Kirche getan haben), müssen wir auf die Menschen zugehen. Das finden wir äußerst angenehm, wir lieben es nicht so sehr, umringt zu werden. Aber wenn wir fragen, sind sie ganz aufgeschlossen und freuen sich, dass wir an ihrem Heimatflecken etwas länger verweilen und sogar übernachten wollen – und nicht nur schnell durchfahren. Insbesondere bei den Stauseen können wir etwas die Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen beobachten. Die Frauen angeln mit langen, selbst gefertigten Ruten vom Ufer aus, wohingegen die Männer mit Einbäumen zum Angeln oder Fischen auf den See hinaus paddeln. Einige Male sehen wir die Methode, die Netze auszulegen, und die Fische dann mit Ruderschlägen in die Netze zu treiben. Einige Hirten bringen ihre Rinder oder Ziegen zum Weiden und Trinken vorbei, unterhalten sich mit den Fischern – und ziehen dann mit der letzten Dämmerung in die Orte zurück. Man teilt die gemeinsamen schönen Flecken und zäunt sie nicht ein.

Der Menschenschlag ändert sich, als wir auf der T2 in die Nähe des Verkehrsknotenpunktes Mpika kommen. Die Straße ist so kaputt, dass man zweihundert Meter auf einer völlig ausgewaschenen Piste neben der Straße schaukeln muss. Man hat schon größte Mühe, das eigene Fahrzeug in den tiefen Löchern nicht umzuschmeißen, und dann laufen noch von allen Seiten Menschen mit Körben oder Tüten herbei. Anstatt jedoch zu zeigen, was sie denn Leckeres feilbieten, hämmern einige Jungs mit den Fäusten an die Türen und rufen in forderndem Ton „Kwacha, Kwacha – Money, Money!“. Wir sind überrascht und stellen fest, dass die Anzahl aufdringlichen Verkäufer und Bettler zunimmt. Das gibt uns schon einen gewaltigen Stich. Als wir in Mpika auf einem Campingplatz einkehren (in dieser Gegend wollen wir nicht frei stehen), sind wir überrascht, auf Deutsch empfangen zu werden. Andreas kam zu Beginn des 2. Jahrtausends als Entwicklungshelfer hierher und hat nach Beendigung der Projekte hier eine Lodge mit Campingplatz und ein Restaurant mit Pizzaofen aufgebaut.

Wir genießen die Zeit auf der Lodge bei intensiven Gesprächen mit Andreas und erfahren so tiefere Details über das hiesige Afrika.