Woran erkennst du, dass ein Elefant dicht neben dir vorbeizieht? Schritte hörst du keine. Elefantenfüße haben eine dicke Knorpelschicht, die als Stoßdämpfer wirkt, sodass die bis zu fünf Tonnen schweren Kolosse lautlos hinter dir vorbei schleichen könnten. Wenn sie sich dennoch in den meisten Fällen verraten, hängt das nicht mit ihrer Masse, sondern mit ihrer Volumenausdehnung und ihrem guten Appetit zusammen. Elefanten fressen ganzjährig Blätter, und nun gegen Ende der Regenzeit bevorzugt das frische grüne Gras. Beides ist nicht sonderlich nahrhaft, weswegen ein Elefant etwa 16 Stunden am Tag mit Essen zubringt. Mit anderen Worten: wenn er sich bewegt, frisst er in der Regel auch, und dies mit einer seinem enormen Appetit angemessenen Geräuschkulisse: Zweige werden von den Bäumen abgerissen, riesige Grasbündel aus der Erde gerupft, und wenn der Rüssel diese Leckereien dem Maul zugeführt hat, folgen wohlige Mahlgeräusche der Zähne, während der Rüssel schon wieder auf Beutezug geht…
Man hört Elefanten also mampfen, und nicht trampeln! Manchmal hört man auch nur Äste knacken (ohne mampfen), wenn ihre Leibesfülle und nicht ihr Rüssel die Äste vom Baum reißt.
Ähnlich ist es um die Flusspferde bestellt. Unser erster Campingplatz in Botswana liegt am Chobe-Fluss, wir haben natürlich den Platz gewählt, der dem Flussufer am nächsten liegt. Der gesamte Campingplatz ist durch zwei Elektrozäune gesichert. Wir stehen also am Zaun, können aber von Kathrinas Dach auf den Fluss sehen. Das Gras am Campingplatz ist kurz gemäht, aber schon der Zaun ist in über einen Meter hohes Gras eingebettet, d.h. direkt neben uns beginnt die saftige Uferwiese. Gegen Abend hören wir – seit langer Zeit wieder – den Ruf der Hippos, aus einiger Entfernung. Unser Herz schlägt höher, denn auch diese Dickhäuter haben wir sehr lieb gewonnen! Als Torsten abends vom Duschen kommt, hört er dicht neben Kathrina laute Mampfgeräusche. Wir steigen aufs Dach und warten, bis sich unsere Augen an die Dunkelheit adaptiert haben. Und siehe da – zehn Meter hinter Kathrina, immerhin getrennt durch 2 Elektrozäune, zeichnet sich im hohen saftigen Gras ein runder Rücken ab. Als der Rücken beginnt, sich vorwärts zu bewegen, hört man keinerlei Gehgeräusche. Das Hippo bewegt sich also genauso lautlos wie die Elefanten – und verrät sich genau wie diese nur durch seinen herzhaften Appetit, den es nachts an Land stillt, während es der Tageshitze unter Wasser auf dem Grund des Flusses entflieht. Kurze Zeit später hören wieder ein lautes Mampfen. Der nächtliche Aufstieg aufs Dach enthüllt dann, dass nun eine Hippokuh mit ihrem Kalb fünf Meter neben Kathrina weidet. Was für ein tolles Erlebnis!
Zurück zu den Elefanten: Als wir am nächsten Tag eine Bootstour auf dem Chobe machen, erfahren wir auch eine neue Funktion ihres Rüssels. Wir hatten ja bereits im Addo-Park zu Beginn unserer Reise dessen vielfältigen Einsatzmöglichkeiten erfahren und im Blog beschrieben. Aber nun in der saftigen Regenzeit kommt eine neue Funktion hinzu: der Elefantenrüssel als Salatschleuder! Während der Trockenzeit sind ja nur die kleinen trockenen Blätter vorhanden, und wenn in der Regenzeit das Hippogras saftig auf den kleinen Inseln im Chobe-Fluss wogt, wagen die Elefanten den Gang durch den krokodilbewohnten Fluss zu den Inseln. Dort angekommen reißen sie mit Wonne große Büschel Hippogras aus. An den langen Wurzeln dieses Grases haftet jedoch viel Schlamm an, der den Elefanten nicht mundet. Also muss der Schlamm sorgfältig ausgewaschen werden. Was für ein Schauspiel! Einem sehr kurzen „Rrrrups“ zum Ausreißen eines riesigen Grasbündels folgt ein bis zu einer Minute langes Wasser-Geplatsche, da der Rüssel das Grasbündel mit großer Wucht von rechts nach links, von vorn nach hinten durch das Wasser schlägt. Dann verschwindet das gereinigte Gras im gierigen Maul, und der Rüssel tastet nach dem nächsten leckeren Grasbüschel.
Einen Tag später fahren wir an Land am Chobe-Fluss entlang, durch den Nationalpark. Botswana setzt auf geführte Touren, Individualtouristen wird es beispielsweise durch höhere Eintrittspreise als bei einer geführten Tour schwer gemacht. Aber dafür ist man dann – wenn man von den Routen der geführten Touren abweicht – auch allein mit der Natur. In den ersten zwei Stunden sehen wir also vereinzelt Tourenautos, danach dann gar keine Autos mehr. Wir sehen viele bekannte Tiere, aber in einer anderen Jahreszeit. Zu Beginn der Regenzeit werden viele Huftiere geboren. Im Dezember im Etosha-Park hatten wir also viele kleine staksende Zebras, Gnus und Gazellen gesehen. Nun gegen Ende der Regenzeit sind viele von den Kleinen schon fast so groß wie die Eltern, und galoppieren ebenso behende wie sie. Und es ist Paarungszeit! Die halbwüchsigen Männchen werden von den Herden vertrieben, damit der Chef seine Weibchen für sich hat. Insbesondere bei den Impalas ist das so: Wir sehen also einige Herden mit einem wohl behörnten Chef, vielen ausgewachsenen Weibchen und ihren Jungtieren. Bei den jungen Böckchen sprießen die Hörnchen schon ganz klein (wenige Zentimeter hoch), doch dies sieht der Bock mit seinen fünfzig bis neunzig Zentimeter langen Hörnern noch nicht als Bedrohung, sie dürfen bei der Herde bleiben. Eine solche Herde schart sich um Kathrina, die kleinen Böckchen legen sich direkt vors Auto und blicken Kathrina interessiert an. Als Torsten den Motor ausmacht, zucken sie kurz, schließen dann die Augen und senken den Kopf auf die Vorderbeine. Sie haben also keinerlei Angst vor uns, sondern fühlen sich unter Kathrinas Schutz sicher! Dann sehen wir viele Gruppen von jeweils 4 Jungböcken, die immer paarig das Kämpfen üben. Zwei Jungspunde fangen an, mit den Hörnern aufeinander loszugehen, das animiert dann auch die anderen beiden, es ihnen gleich zu tun. Als wir uns an dem Schauspiel satt gesehen haben, fangen wir an, die Vögel in den nahegelegenen Bäumen mit dem Fernglas zu beobachten. Doch wir werden weiterhin Zeugen der Schaukämpfe – durch die Akustik: Wir hören einige Minuten Lang Hörnergeklapper hinter uns, dann endet es, und man hört die Tiere wieder Gras rupfen, bis beim ersten Bock wieder die Hormone durchschießen und das Geklapper wieder beginnt… Plötzlich entdecken wir einige Bäume, die nicht voller Vögel, sondern voller Paviane sind. Einige von ihnen sitzen ruhig in der Nachmittagssonne, aber auf einem Baum haben sich die jungen Wilden versammelt: Äste wackeln, Paviane springen aufeinander, rangeln, versuchen sich gegenseitig vom Baum zu stoßen, dabei bricht auch mal ein Ast ab und zwei Paviane landen erschrocken eine Etage tiefer, fangen sich aber behende auf und gehen sofort wieder aufeinander los. Welch Übermut! Am späten Nachmittag treffen wir am Fluss auf eine riesige Herde Kaffernbüffel. Wir beobachten sie fast eine Stunde lang. Getrunken haben sie offensichtlich schon, denn sie stehen etwas entfernt vom Ufer, viele liegen entspannt in der tiefstehenden Sonne. Einige Männchen beobachten uns aufmerksam, das eine oder andere stellt sich vor Kathrina in Positur um uns zu zeigen, dass sie ihre Herde zu beschützen wissen. Nach geraumer Zeit beginnen sie ins Hinterland abzuziehen. Als die Herde vor Kathrina vorbeizieht, bauen sich immer neue Männchen schützend vor Kathrina auf, damit die Übrigen hinter ihnen in Sicherheit vorbei ziehen kann. Dann ziehen auch sie weiter, und neue Männchen übernehmen den Schutz der Herde. „Wer ist denn nun der Chef?“ fragen wir uns. Dann bemerken wir einen alten großen Bullen, dessen gesamter Körper von sehr vielen Kampfnarben übersät ist. Er steht etwas abseits, hinter der Herde, mal mittendrin, aber nie im Vordergrund. Er beobachtet alles genau: Kathrina und ihre beiden fotografierenden oder fernglasspähenden Insassen, wie gut seine jungen Bullen die Herde abschirmen, und dass jedes einzelne Tier unbehelligt abziehen kann. Wir nennen ihn den „Paten“.
Als nächstes fahren wir durch die südlich gelegene Savuti-Region des Chobe-Nationalparks. Der bietet ein ganz anderes Landschaftsbild: weitläufige Ebenen mit mehr oder weniger Baumbestand, einige Hügel mit schroffen Felsen, die Sicht ist jedoch gegen Ende der Regenzeit durch hüfthohes Gras erschwert, die Pisten sind ausgewaschen und viele tiefe Pfützen in der Piste machen das Fahren zum Abenteuer. Hinzu kommt, dass sämtliche gedruckte und digitale Karten, die wir besitzen ein unterschiedliches Wegenetz aufzeigen – und die existierenden Pisten, die wir natürlich nicht verlassen, sind meistens in keiner der Karten eingezeichnet. Hier sind die Navis wirklich Gold wert, um einen wieder in die richtige Richtung zurückzuführen! Der Vorteil dieses dichten Pistennetzes ist, dass man fast ganztägig allein ist, auch wenn man abends am Campingplatz wieder andere Menschen trifft. Der Nachteil ist, dass die Pisten natürlich nicht gepflegt und aktuell voll überwuchert sind. Beim abendlichen Sichten unserer Tachoscheibe erkennen wir, dass wir beinahe mehr Zeit mit Weg freihacken als mit Tierbeobachtungen verbracht haben. Wir folgen also einigen frischen Elefantenspuren in ein trockenes Flussbett wo zwar eine Piste existiert, aber die vielen Huf- und Fußabdrücke in den beiden Fahrspuren zeigen uns, dass sie seit Tagen, vielleicht Wochen nicht mehr benutzt wurde. Nichts wie hinterher! Wir sehen dann auch einige vereinzelte Dickhäuter. Weiterhin Warzenschweine, Giraffen, Zebras, Gnus, und kommen zu einem wunderbar freistehenden Baobab-Baum mit einem etwa zwei Meter dicken Stamm. Man darf leider außerhalb der Campingplätze das Auto nicht verlassen, woran wir uns natürlich (!) immer (!!) strengstens (!!!) halten.
Botswana hat eine charmante Eigenart: die Campingplätze sind nicht umzäunt, man kann also jederzeit auch im Campingbereich, wo man aussteigen darf, auf sämtliche Wildtiere des Parks treffen. Also Naturerfahrung pur! In der ersten Nacht hören wir einige Löwen weit weg brüllen – das „weit weg“ beruhigt uns doch sehr! Als wir am zweiten Tag am späten Nachmittag in das Camp zurück kehren, steigt Torsten aus, um mal wieder den Weg freizuschneiden. Dann zeigt er plötzlich vor sich auf den Boden, dort sind frische Elefanten-Spuren. Als wir zur Seite stehen, sehen wir den imposanten Bullen auch wenige Meter neben ihm stehen. Interessiert beobachtet er Torstens Treiben und wundert sich, dass jemand, der genauso viele Äste abreißt wie er selbst, diese einfach liegen lässt, anstatt sie zu verspeisen. Den ganzen Nachmittag bleibt er in unserem „Vorgarten“ (d.h. auf den beiden benachbarten leerstehenden Plätzen), stillt seinen Appetit und spickelt ab und zu zu uns hinüber, ob wir nicht doch noch die Äste zum Kochen holen. Solch eine Nähe zu einem so großen wilden Tier hatten wir bisher nicht. Diese pure Naturerfahrung ist eine Spezialität von Botswana.
Dieses beeindruckende Erlebnis wird zwei Tage später sogar noch überboten. Wir übernachten außerhalb des Nationalparks an einem ausgewiesenen Übernachtungsplatz am Kwhai-Fluss. Vor nicht allzu langer Zeit wurden hier eine Wasserpumpe, ein Hochbehälter, eine Dusche und eine Toilette in die Wildnis gestellt. Teure Kupferarmaturen und sonstige edle Bauteile wurden verwendet, jedoch nicht gegen Wildtiere gesichert. Mit anderen Worten: nichts geht mehr… Dieser Platz besteht also wie so viele in Botswana aus einer Koordinate in der Wildnis mit einer atemberaubenden Aussicht (und ein wenig funktionsunfähigem Kulturgut hinter uns, über das man hinwegsehen muss). Wir nächtigen also auf einem kleinen Sandplatz. Der Sand macht diese Plätze für Pflanzenfresser unattraktiv, sie nutzen sie also bestenfalls als Durchgangspfade, aber nicht als Weidegrund, sodass die Camper, die sich ab und zu hierher verirren, eine faire Chance haben, dass die Tiere gewillt sind, einen Umweg zu nehmen. Dieser Platz liegt etwas erhöht über einer Schleife des Kwhai-Flusses. Schon bei der Ankunft begrüßen uns einige vereinzelte Elefanten mit mehr oder weniger missgünstigen Kopf- und Ohrenschütteln, doch sie ziehen weiter in den Büschen ohne uns zu nahe zu kommen. Vom Platz aus führt eine steile Böschung zum Flussbett hinunter, und als wir abends Hippo-Rufe hören, freuen wir uns über die erhöhte Position, denn das Gras unten im Flussbett ist viel saftiger, sodass sie nachts hoffentlich nicht zu uns hoch kommen werden. Am zweiten Nachmittag füllt sich die Ebene plötzlich mit Elefanten. In der Schleife herrscht ein fröhliches Durcheinander von spielenden Kindern und badenden Eltern, konservativ gezählt fünfunddreißig Tiere. „Diese große Herde ist ja zum Glück 50 Meter entfernt, und durch eine hohe Böschung getrennt“ denken wir, und beobachten entspannt das bunte Treiben. Plötzlich schallt ein tiefes Grollen vom Flussbett hinauf. Wir haben diese tiefen Töne schon öfters gehört – Elefanten können sich kilometerweit mit Hilfe von Infraschall unterhalten, und manchmal entweicht ihnen dabei auch ein gerade noch von Menschen hörbares Brummeln. Beim Menschen müssen Bauchfell und Ohren schon gut zusammenarbeiten, um es zu detektieren, denn dieses Brummeln spürt man eher als dass man es hört. Als diese tiefen Töne von gar nicht weit weg HINTER uns erwidert werden, wird uns schon etwas mulmig. Hinter uns, ohne trennende Böschung, sind also weitere Elefanten! Als wir einen großen Bullen in 20 Meter Entfernung sehen, sind wir erleichtert – also nur einer! Dachten wir, aber das Brummeln und Grollen geht noch ein paarmal hin und her, und nach einer Weile sehen wir in der oberen Ebene verstreut über zwanzig Elefanten in unterschiedlich großen Gruppen. Dann wird uns doch etwas anders – einerseits ist das tiefe Grollen schon respekteinflößend, andererseits verstehen wir diese Sprache nicht und sind nicht sicher, ob sie miteinander befreundet sind, oder aufeinander losgehen wollen, wir mittendrin. Als sich die Tiere entfernen, geben wir unsere Beobachtungsposten auf und beginnen zu kochen. Von Weitem hört man noch mal ein Rupfen, Tröten oder Brummeln. Als der Gemüserisotto gerade bissfest geworden ist und wir uns danach sehnen, ihn auf unsere Teller zu verteilen, wackelt es plötzlich 10 Meter hinter meinem Stuhl. Wir stellen den Kocher ab und positionieren uns neben Kathrina, so wie wir es von den Elefantenkühen gesehen haben, wenn sie ihre Kälber schützen. Wir gehen einige Schritte auf die Elefanten zu, aber nur bis zum Ende von Kathrina, und sagen mit lauter Stimme „Das ist unser Platz, und unser Abendessen.“ Die erste Gruppe zieht daraufhin sofort ins Gebüsch. Dann kommen drei Bullen vorbei, einer noch halbwüchsig. Der macht uns ein wenig Sorgen, weil er mit dem typischen Imponiergehabe beginnt: Rüssel hochnehmen, Ohren wackeln, einen Schritt auf uns zu. Wir hatten schon oft beobachtet, dass die kleinen Elefanten ihre Wirkmächtigkeit an kleinen Tieren wie Zebras oder Gazellen ausprobieren. Doch wenn sie in Panik verfallen, rufen sie quiekend ihre Eltern, die daraufhin gleich herbeieilen, um sie vor der drohenden Gefahr zu beschützen. Unser Halbwüchsiger geht glücklicherweise nicht soweit. Als er merkt, dass wir trotz Rüsselschlagen und Ohrenwackeln stehen bleiben (das Tränengas dabei fest umschlossen, der Rückzug in Kathrina ist geplant), gibt er nach und wählt einen anderen Weg, seine beiden älteren Beschützer folgen ihm. Als wir zum Abendessen kommen, ist der Risotto etwas weicher als geplant, und ein Auge sichert jeweils den Platz hinter dem anderen. Dies war nicht unser körnigster, wohl aber unser abenteuerlichster Risotto aller Zeiten!
Auf solch eine Tierbegegnung hatten wir immer gehofft: eine direkte Begegnung mit vielen großen, friedliebenden Wildtieren, nur wir drei auf uns alleine gestellt – und keine Menschenseele wusste, dass wir hier mitten unter den Tieren waren. In der 177. Nacht unserer Reise ging dieser große Wunschtraum in Erfüllung.