Okavango: Jahreswechsel mit Kroko und Hippo 25.12.2021-4.1.2022
Nachdem wir eine Woche den Etosha-Nationalpark mitseinem Tierreichtum erkundet haben, erreichen wir am 25.12. nachmittags den Okavango. Zehn Nächte werden wir auf verschiedenen Campingplätzen direkt an seinem Ufer verbringen. Zwischen Rundu und Divundu ist er der Grenzfluss zwischen Namibia und Angola, bei Divundu biegt er nach Süden ab, einige Stromschnellen, die als Popa-Wasserfälle bezeichnet werden, bilden für viele Tiere eine natürliche Barriere. Schließlich fächert sich der Okavango in Botswana in ein gewaltiges Delta auf, wo das Wasser laut Reiseführer verdunstet. Er ist also einer der Flüsse, die niemals das Meer erreichen. Wir wagen die Gegenhypothese, dass die vielen Elefanten und Abertausende von Antilopen das Delta einfach leertrinken. Auf der Rückreise wollen wir das Okavango-Delta besuchen und unsere Hypothese durch Beobachtungen auf die Probe stellen.
Beim ersten Anblick des Okavango fühlen wir uns gleich heimisch: Ein Fluss, beiderseits gesäumt durch einen dichten Schilfgürtel, an den Ufern grüne Wiesen und richtig hohe Bäume – die ersten hohen Bäume seit wir Deutschland verlassen haben. Verwundert es, dass wir uns an den Rhein erinnert fühlen? Weitere Ähnlichkeiten: Tagestemperaturen über 35°C und 80% relative Luftfeuchte. Das könnte eine Hitzewelle bei uns zu Hause sein – nur hier wird dies das Klima für die nächsten drei Monate sein. Auch viele Vögel und Insekten erinnern uns an die Heimat: Reiher, Kormorane, Schwalben, Wiedehopfe, Eisvögel, Fliegen, Libellen, Stechmücken, … Bei genauem Hinsehen weisen diese vertrauten Tiere jedoch deutliche Unterschiede in Form, Färbung, Größe auf. Und dann plötzlich ein Ruf „Bäh! Bäh! Bäh!“. Wir denken, ein Tier will uns verspotten, und identifizieren dann einen großen grauen Vogel mit Schopf als Verursacher. Graulärmvogel heißt der Krachmacher. Er warnt mit seinem Ruf die sanften Weidetiere vor hungrigen Raubtieren, ist im Tierbuch nachzulesen. Wir sind schon etwas bestürzt, dass er meint, die Antilopen und Böcke auch vor uns warnen zu müssen – so manches Foto zeigt nur einen langweiligen Busch, weil der Bock davor – das eigentliche Fotomotiv – aufgrund der Warnung hinfort gehüpft ist, bevor der Auslöser gedrückt wurde. Der Graulärmvogel war also der erste totale Fremdling, der uns klar machte, dass wir nicht am Rhein sind. Weitere uns völlig unbekannte Arten sind die Ibisse, Goliathreiher, metallisch schimmernde Nektarvögel und Bienenfresser mit wunderbar langen Schwanzfedern.
Am 28.12. macht uns dann noch eine andere Tiergattung klar, dass wir nicht in heimischen Gefilden sind. Kurz vor dem angolanischen Ufer, ca. 50 m von uns entfernt, liegen einige Steine im Wasser. Ich trinke meine Tasse Tee aus, setze die Tasse ab – und ein Stein gähnt plötzlich. Natürlich nicht der Stein, sondern das Krokodil, das sich auf ihm sonnt. Schnell holen wir die Fotoapparate, doch die Eile war völlig unnötig und kennzeichnet uns als Krokodil-Unerfahrene. Die etwa vier Meter lange Krokodil-Dame wird die nächsten neun Stunden dort sitzen. Maul und Oberkörper auf dem Stein, der Schwanz im Wasser. Dreimal öffnet sie das Maul. Das Öffnen und Schließen erstreckt sich jeweils im Zeitlupentempo über einige Minuten, die Dauer der Zur-Schau-Stellung ihrer kurzen scharfen Zähne variiert zwischen zehn und zwanzig Minuten. Ein paarmal taucht sie auch ganz langsam wieder ins Wasser, um kurze Zeit später wieder an derselben Stelle mit derselben Pose zu lungern. Wir können keine schnellen Bewegungen oder Drohgebärden beobachten, sie scheint satt und glücklich zu sein, und auf dem Stein Ruhe zur Verdauung zu suchen. Also wenn wir nicht die vielen Tierfilme gesehen hätten, in denen sich ein Krokodil in sein Beutetier verbeißt, sich blitzschnell um die eigene Achse dreht, um seine Beute klein zu zerreißen, da Krokodile nicht abbeißen können, hätten wir durch unsere erste Beobachtung völlig falsche Schlüsse über die Gefährlichkeit dieser Tiere gezogen. Wir sind aber froh, dass wir keine dramatische Szene erlebt haben, sondern nur dieses friedliche Sonnenbad.
Am 2.1. fahren wir auf einen Campingplatz unterhalb der Popa-Fälle, hier soll es von Flusspferden nur so wimmeln. Enttäuscht stellen wir fest, dass es momentan auch in diesem Flussabschnitt keine Flusspferde gibt, sondern nur braune Steine. Nachdem wir das Vordach aufgebaut haben, haben sich die Steine erstaunlicherweise umgruppiert. Beim dritten Hinsehen sind einige von ihnen verschwunden. Gibt es hier Gezeitenunterschiede am Fluss? Plötzlich taucht mit großem Gepruste und Geplatsche ein brauner glänzender Kopf aus dem Wasser auf. Glubschaugen, große Schnauze – ganz eindeutig Flusspferd! Da begreifen wir endlich, dass die braunen Steine mehrere Hippo-Rücken gewesen waren. Sie liegen auf einer Sandbank im Fluss, etwa 10 m entfernt von unserem Stellplatz. Wahnsinn! Alle fünf Minuten müssen die ausgewachsenen Hippos atmen, die Jungtiere etwas häufiger. Dafür heben sie die Köpfe aus dem Wasser, schütteln zuerst die Ohren wasserfrei, öffnen dann die verschließbaren Nasenlöcher und atmen etwaiges Restwasser mit einem kräftigen Prusten aus. Ein faszinierendes Schauspiel! Einige Kühe mit ihren Jungen sind da, nach einer Weile zeigt sich auch mit extra-viel Geplantsche und Geschnaube der Bulle.
Das Rangeln der Kleinen sowie das Imponiergehabe der Erwachsenen geht in erster Linie durch stumme Großmäuligkeit vonstatten. Bis zu einem Winkel von 150 Grad können die Hippos ihr Maul öffnen, verrät das Tierbuch – wir haben uns zurückgehalten und nicht nachgemessen. Aber die offenen Mäuler sind wirklich imposant. Bei den Kleinen sind in ihren geöffneten Mäulchen mit dem Fernglas nur ganz kurze Zahnstummel zu sehen. Das erklärt, weshalb sie sich so hingebungsvoll ineinander verbeißen: Maul in Maul, Maul in Nacken, Maul knabbert ausgiebig an Öhrchen. Mit ihren Mini-Zähnchen ist das eher eine wohltuende Massage für den Rangel-Partner als dass es schmerzhaft wäre. Anders sieht es aus, wenn der Leitbulle sein Maul aufreißt: Die längsten Zähne sind etwa 30 Zentimeter lang, einer liegt quer im Kiefer. Wenn er zuhaut oder zubeißt, wird es übel – das wissen die Halbstarken aber und ducken sich schnell weg, wenn der Chef sein Chefsein zur Schau stellt. Erstaunlicherweise ist das Maul-Aufreißen an kein Geräusch gekoppelt. Es ist eine rein optisch-motorische Geste. Die tiefen Grunzer, die man als Hippo-Gesang kennt, stoßen sie mit geschlossenem Maul aus, oft ist das Maul dabei unter Wasser, wodurch das Geräusch nochmal tiefer werden zu scheint. Das Grunzen geht uns durch Mark und Bein, wenn der Bulle unter Wasser grunzt, spüre ich meinen Bauch flattern. Manchmal verhallt ein Grunzer unbeantwortet, manchmal erwidern die anderen Tiere der Herde, oder von weiter entfernt lagernden Herden das Grunzen, und es schaukelt sich zu einem kurzen Konzert auf. Unglaublich, kein Lautsprecher kann diese tiefen Töne ausstoßen, man muss das Geräusch in natura erlebt haben. Seit diesem ersten Hippo-Tag begleitet uns das Grunzen alltäglich und allnächtlich am Okavango, Kwando, und später am Sambesi. Wir können uns schon gar nicht mehr vorstellen, dass es Tage ohne Hippo-Gesang gibt!
Tagsüber kommen doch tatsächlich einige Boote angefahren, um Menschen zu den Hippos zu bringen. Doch vor Booten haben sie weit mehr Angst als vor Menschen am Ufer. Wenn die Boote noch etwa 40 m entfernt sind, tauchen sie unter. Enttäuschte Gesichter bei den Bootsgästen. Dabei geht es doch so einfach: Geh nicht aufs Boot, sondern suche dir eine Unterkunft am Wasser für zwei Nächte und verbringe einen Tag ruhig sitzend am Wasser. Dann kommen die Hippos ganz nah zu dir. Tauchen wenige Meter vor dir auf, schauen dich neugierig an – und grunzen vielleicht noch für dich persönlich.