Wald-Camp am Titicaca-See

Wald-Camp am Titicaca-See

28.11. bis 07.12.2017

Am Abend nach La Paz kommen wir bereits in dem lauschigen Eukalyptushain an. An der Ostseite des Titicaca-Sees liegt auf einer kleinen Halbinsel ein Vorsprung, der an drei Seiten vom See umgeben ist. Dieser ist natürlich stark windexponiert, hat aber einen unverstellten Blick in Richtung Sonnenaufgang, Süden und Sonnenuntergang. Natürlich wählen wir für den Hano diesen exponierten Stellplatz! Neun Nächte werden wir hier bleiben. Das absolute Camper-Paradies: Als einzige Infrastruktur gibt es Mülleimer. Und glasklares Wasser aus dem Titicaca-See.  Einige Bäume wurden gefällt, man kann sich hier mit Brennholz versorgen. An einigen Tagen kommen Tagesgäste. Die meisten Nächte sind wir allein, kurzzeitig campen auch zwei englische Pärchen hier, die mit chilenischen Transportern unterwegs sind.

Am ersten Abend kommen wir spät und erschöpft an, und kochen und essen im Hano. Rundum blitzt und gewittert es – im Süden über La Paz, im Osten über der Cordillera Real, im Westen über Copacabana. Über unseren Platz fegt nur ein heftiger eisiger Wind, nachts regnet es. Die Regenzeit kündigt sich an. Am nächsten Morgen wieder Sonnenschein. Die Nachttemperaturen liegen zwischen 7 und 11 C, tags zwischen 13 und 16 C. Warm ist es nicht, aber wenn die Sonne scheint ist die Strahlung enorm und täuscht T-Shirt-Wetter vor. Das Herumlaufen im T-Shirt führt aber nur zu roten Armen und dazu, dass man nach kurzer Zeit richtig durchgefroren ist.

Die ersten beiden Tage verbringen wir mit technischem Dienst am Hano. Nach fünf Wochen Wüstenpisten ist von Waschen, Saugen, Entstauben, lose Schrauben Festziehen, gebrochene Kühlerhalterung Reparieren über diverse Lackierarbeiten viel zu tun. Dafür können wir uns aber keinen schöneren und ruhigeren Platz als diesen vorstellen. Die „Arbeit“ gerät hier eher zur Meditation, man kann sich währenddessen immer am frischen Eukalyptusduft, am Rauschen der Wellen, und am  Anblick des sich kräuselnden Wassers erfreuen. Nach all den Wochen in der Wüste endlich Wasser im Überfluss!

Im Laufe des zweiten Tages beginnen wir dann neben den Wartungsarbeiten, uns „häuslich“ einzurichten: Ein Sägeplatz wird auf einem umgefallenen Baum angelegt, daneben ein Hackplatz, eine Feuerstelle für das Lagerfeuer, die sich im Laufe unseres Aufenthalts in die Steinzeit weiterentwickeln wird, und Torsten zimmert aus Eukalyptusholz ein Untergestell für den Faltkanister und unsere Falteimer – ein rustikaler Waschplatz entsteht. So macht Campen richtig Freude! Da wir keine 10 m vom Wasser entfernt stehen, kommen die Fischer erstaunlich nahe ans Ufer und bestaunen die Wandlung des Platzes. Alle winken fröhlich, manche rufen uns etwas zu, was wir nicht verstehen. Wir winken auch immer kräftig und rufen etwas über das schöne Wetter, den starken Wind, den Regen oder den herrlichen Platz zurück. Zwei Fischer wagen sich sogar an Land. Der erste ist recht kommunikativ und sehr neugierig. Nach einem Besuch ist er befriedigt und kommt nicht mehr. Der zweite ist eher schweigsam. Bei seinem ersten Besuch ist Torsten gerade dabei, die Schrauben unter dem Auto zu prüfen und festzuziehen. Er erklärt das dem Fischer und schraubt weiter. Fast eine Stunde lang steht unser Besucher neben dem Hano. Erst als ich mit dem Beschriften der Tachoscheiben fertig bin, aussteige, und mich zu Torsten herunterbücke, wagt auch er, unter das Auto zu sehen. Er beobachtet Torsten dann noch eine zeitlang und rudert nach einer kurzen Verabschiedung davon. Zwei Tage später kommt er wieder, mittlerweile sind wir voll eingerichtet. Er bleibt in respektvollem Abstand stehen. Da wir mittlerweile den Großteil unserer Pflichten abgearbeitet haben, nehmen wir uns mehr Zeit für unseren Gast. Wir bieten ihm einen Café an, den er erst beim zweiten Angebot annimmt. Wir setzen uns, er betrachtet etwas ungläubig das kleine Zuckerpäckchen, das wir ihm geben. Er spielt lange verlegen damit herum, bis die Packung an einer Stelle aufreißt, und leckt dann bedächtig den kleinen Zuckerkristall von seinem Finger ab, der sich aus der Packung befreit hat. Dann erst dämmert uns, dass er diese Zuckerpäckchen wohl gar nicht kannte und sich sicher gewundert hat, weshalb wir ihm anstelle des versprochenen Zuckers ein Papierpäckchen gereicht haben. Wieder verbringt er etwa eine Stunde bei uns. Er ist sehr schweigsam, genießt es aber, mit uns in der Sonne zu sitzen und schaut oft nach oben in die Wipfel der Eukalyptusbäume. Wir reden ein wenig über seinen Ort, seine Fischerei, das Wetter und die Natur hier und in Deutschland. Und schweigen und betrachten die Eukalyptusbäume. Keine Eile. Als er seinen Café bedächtig zu Ende getrunken hat, frage ich ihn nach seinem Boot. Er ist erfreut, dass wir uns dafür interessieren. Wir gehen zum See hinunter und er bedeutet uns wortlos einzusteigen. Damit hatte ich nicht gerechnet, aber wir steigen erfreut ein. Er rudert mitten auf den See hinaus, eine unerwartete schöne Ausfahrt. Da er keine Anzeichen macht umzukehren und wir ihn nicht überstrapazieren wollen, fragt Torsten nach einer Weile, ob er rudern darf. Das Boot ist selbst gezimmert, und die beiden Ruder sind unterschiedlich groß. Der Fischer hat Übung darin, die Ruder unterschiedlich tief einzutauchen. Torsten muss sich erst einmal einrudern, bis der Geradeauslauf klappt. Dann wendet er und rudert uns ans Ufer zurück. Wir steigen aus, der Fischer rudert davon, sein letzter Besuch bei uns.

Jaime, der sich um den Platz kümmert, kommt ab und zu vorbei. Wir reden über das Wetter, die Kommunalwahlen, die neuen Baumaßnahmen der Regierung, die auch diesem kleinen Ort eine moderne Schule beschert haben, usw. Er freut sich, dass es uns so gut gefällt, und registriert, dass der Platz um den Hano herum immer sauberer wird. Die Bolivianer schmeißen ihren Plastikmüll meist recht sorglos in die Natur (wie alle anderen Südamerikaner auch), und wir räumen zumindest in unserem Bereich nach den Tagesgästen immer wieder auf. Außerdem machen wir kurzen Prozess mit dem trockenen Holz und den extrem brandgefährdeten heruntergefallenen Ästen, an denen noch Blätter hängen. Eukalyptusholz lässt sich sehr schwer Spalten, Bohren und Verschrauben. Zum Anfeuern eignen sich Rindenstücke, und sogar frische Blätter brennen gut und duften dabei lecker wegen der ätherischen Öle. Um so brennfreudiger sind die trockenen Blätter… Unser Lagerfeuer fassen wir in Steine und richten es nach dem Wind aus, um die Waldbrandgefahr zu bannen. Aber bei den teilweise recht nahen Gewittern wird uns mulmig… Wir machen auch wieder die Erfahrung, dass man für jede Stunde Lagerfeuer zwei bis drei Stunden Holz machen muss. Das gefällt uns aber – nach so vielen Fahrtagen toben wir uns acht Tage lang körperlich aus, und nach all den schnell wechselnden Eindrücken der letzten Wochen lernen wir diesen wunderschönen Flecken durch den langen Aufenthalt von allen Licht-, Wind- und Wettersituationen her kennen.

Das war mit Abstand der schönste Platz, auf dem wir je gecampt haben, und es fällt uns richtig schwer Abschied zu nehmen. Aber weitere Abenteuer rufen.


Comments are closed.