Mit dem Hano mitten durch La Paz

Mit dem Hano mitten durch La Paz

28.11.2017

Da wir eher Natur- als Städte-Liebhaber sind, hatten wir eigentlich beschlossen, La Paz in einem weiten Bogen zu umfahren. Auf unserem Weg vom Altiplano zum Titicaca-See hätte es ja auch gereicht, auf großen Durchfahrstraßen im hochgelegenen Stadtteil „El Alto“ zu bleiben, auf 4.100 m Höhe. Da wir aber die Ostseite des Titicaca-Sees anpeilen, an der es nur kleine Orte ohne große Infrastruktur gibt, beschließen wir, in La Paz nochmal Wasser- und Lebensmittel-Vorräte zu fassen. Wir peilen also einen Supermarkt an, der – wer hätte es gedacht  – auf 3.200 m in einem entspannten Vorort liegt. Die Zufahrtstraße ist auf unserer Gesamt-Bolivienkarte als kurzer gerader Strich eingezeichnet. Schon in El Alto beginnt das Abenteuer. Entlang der großen Einfallstraße wechseln sich Werkstätten, Gemüsestände, improvisierte Straßenküchen mit Bauchläden voller Handys, Schrauben oder Knöpfe ab. Plötzlich sehen wir sechs Esel am Straßenrand stehen. Ein Junge zapft sich von einer Eselstute frische Milch in einen kleinen Becher und trinkt sie. Milch direkt von der Eselin –  das habe ich noch nie zuvor gesehen. Die Einfallstraße ist zweispurig, und bis zu den ersten Häusern etwa 10 m Platz, sodass sich all diese Szenen in sicherer Entfernung neben der Straße abspielen. Dann kommt unsere Abzweigung. Es geht natürlich in steilen Serpentinen bergab. Zunächst kommen einige Steinbrüche, dann kleine Vororte, die jedoch immer wieder von kleineren oder größeren Gärten oder Brachland aufgelockert werden. Alles jedoch dicht an die Straße gebaut – wenn jemand aus einem Haus tritt, steht er fast direkt vor dem Hano. In manchen Gärten wird Gemüse angebaut, in anderen stehen Kühe, Schweine, Esel, Pferde. Wir fahren also 900 Höhenmeter bergab wie durch kleine Dörfer. Dann kommt der MiSuper, in der Tat der erste (und auch später einzige) Supermarkt, den wir auf näherem Weg durch diese Hauptstadt finden. Sie sind schon auf Reisende eingestellt, denn als ich der jungen Frau an der Kasse erkläre, dass wir nur Wasser, nicht aber die 20 Liter-Behälter benötigen, ruft sie sofort eine Kollegen, der mir vier dieser großen Wasserbehälter vor den Hano fährt und sie Torsten zum Einfüllen in unsere Wassertanks in den Hano reicht. Der junge Mann hat schon einige Casas Rodantes gesehen, sowas wie unseren Hano aber nicht. Da während des Wasser Füllens nur relativ große und neue Autos hier geparkt haben, schlussfolgern wir, dass wir in einem reichen und sicheren Vorort sind. Wir sichern das Fahrerhaus mit einer Kralle und wagen uns zu zweit in den Supermarkt. Hohes Preisniveau, dafür leckere italienische Importwaren als Ergänzung zu den einheimischen Lebensmitteln. Wir kaufen kräftig ein. Dann programmieren wir den Titicaca-See als nächstes Ziel ein. Unsere Navi-App hat jedoch leider die Angewohnheit, einen lieber den kürzeren Weg durch die Innenstadt als den schnelleren Weg über die großen Ausfallstraßen zu führen. Waren die Straßen hinab von El Alto schon eng (aber dafür dem Straßenverkehr vorbehalten), kommen wir jetzt in noch engere Gässchen, auf denen sich zusätzlich noch Markisen, Verkäufer mit Bauchläden, oder gleich ganzen Marktständen befinden. Und natürlich nicht nur die Verkäufer, sondern auch Heerscharen von Kaufwilligen, die natürlich Vorrang haben und überhaupt nicht auf den Verkehr achten. Eine zusätzliche Herausforderung bei dem Versuch, keine Passanten zu überfahren, ist die geringe Körpergröße der Bolivianer – aus dem erhöhten Hano-Führerhaus heraus sind Personen neben dem Auto kaum zu sehen. Eine weitere verkehrstechnische Herausforderung sind die Collectivos, kleine Sammeltaxibusse. Außer uns ist niemand so blöd, sich mit dem eigenen Auto in dieses Gassenchaos zu wagen. Man nimmt ein Collectivo. Man winkt, das Collectivo wechselt ohne zu blinken die Spur und hält an, gern auch vor roten Ampeln, mitten auf einer Kreuzung oder auf der Gegenspur. Dann wird diskutiert, ob das Collectivo die richtige Richtung hat, was bislang einige Zeit dauern kann. Das ganze Gewusel spielt sich bei Steigungen und Gefällen von bis zu 15% ab. Interessant ist auch, dass die Märkte hier sortenrein getrennt sind. Zunächst irren wir durch mehrere Straßenzüge mit Gemüseständen. Hier ist es am engsten, und die meisten Passanten rennen kreuz und quer vor dem Hano herum. Zum Glück sind die meisten Käuferinnen Indigenas, die ihre Käufe traditionell in ihre bunten Wolldecken einschlagen und auf dem Buckel tragen – so weisen trotz der geringeren Körpergröße die leuchtend bunten Muster wie Signalfarben auf die Passantinnen hin. Im nächsten Viertel werden Haushaltswaren verkauft. Töpfe, Elektrogeräte aller Art, einige Deko-Artikel. Dann kommt das Auto-Reparatur-Viertel: Reifen, Motorteile, Kühler, Stoßdämpfer, alles rund ums Auto wird in verschiedenen Gebrauchszuständen von neu (aber verstaubt) bis fast kaputt, aber gerade noch brauchbar, feilgeboten. Dazwischen laden Werkstätten zur Autowäsche oder zum Ölwechsel ein. Während bisher in der Stadt  niemand vom Hano Notiz genommen hat, winken uns hier die Mechaniker zu wie sonst nur die Landbevölkerung. Dann sehen wir plötzlich überall runde Holzrahmen und fragen uns, welches Viertel dies nun sei – natürlich das Musikerviertel, merken wir, als wir die erste fertige Trommel sehen. Vom Musikerviertel kommen wir endlich auf die große Ausfallstraße Richtung Titicaca-See. Geschafft – denken wir. Plötzlich halten einige Polizeiautos vor uns, wir halten auch. Wir dachten erst, sie bilden eine Kolonne, die wir vorlassen wollten, aber als ganze Mannschaften aus den Fahrzeugen aussteigen wird uns klar, dass die Straße für einen Einsatz komplett abgeriegelt wird. Torsten folgt dem Schwarm der Collectivos, die ja hier heimisch sind, und sich in den engen Seitengässchen auskennen. Sie finden bestimmt zielsicher eine gute Umgehung. Zunächst wirkt diese Umgehung auch ganz gut. Dann schwärmen die Collectivos falsch herum um einen Kreisverkehr, der Gegenverkehr kennt das offensichtlich schon und weicht aus. Alles fließt sehr organisch umeinander, der Hano hinterher. Bis ein Auto völlig quer fährt und das gefällige zweckmäßige Umeinanderfließen ohne Verkehrsregeln zum Stocken bringt. Die Collectivos können noch alle schnell abfließen, nur der Hano bleibt allein gegen den Strom zurück. Plötzlich greifen die Verkehrsregeln wieder, wir stehen als Einzige falsch, und lassen uns etwa 5 min umfahren und anhupen, bis eine kleine Lücke entsteht, in die Torsten laut hupend einfährt und uns wieder auf die richtige Seite bringt. Wir finden die Ausfallstraße wieder. Ich als Beifahrerin bin schachmatt, und wundere mich, wie gelassen Torsten die Fahrt durchgestanden hat. Dabei ist klar: wenn man als Fahrer anfängt, nervös zu werden, hat man in so einer Stadt verloren. Man kann nur cool durchfahren – oder aussteigen. Erstaunlicherweise hat auch der Hano keine Schramme davongetragen. Die Kupplung wurde durch den Stop-and-Go-Verkehr am steilen Berg vermutlich etwas beansprucht, aber das war es. Als wir aus La Paz heraus sind, trabt der Hano fröhlich die 4.000 m hohe Hochebene entlang wie eine junge übermütige Gazelle – endlich wieder Auslauf! Wir freuen uns auf die Einsamkeit am See, freuen uns aber auch über die schönen Erinnerungen an eine spannende Stadtdurchfahrt. Niemand kann uns nachsagen, dass wir La Paz nicht intensivst erlebt haben!


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