Lebewohl Chile
Ende November 2017
Der gesamte Blog spiegelt unsere punktuellen und persönlichen Erfahrungen und deren subjektiven Interpretationen wieder, wir erheben keinen Absolutheitsanspruch unserer Erlebnisse. Unsere unerquicklichen Begegnungen mit den Chilenen waren wohl nur Pech. Wir können uns aber nicht vorstellen, was uns jemals wieder dazu bewegen könnte, nochmals einen Fuß in dieses ungastliche Land zu setzen.
Der erste Eindruck bestimmt bekanntlich sehr viel. Wenn aber die sieben ersten Eindrücke von der negativsten Sorte sind – wie will man das wider kitten? Unsere sieben erste Eindrücke von Chile:
- Ein Maschinengewehr
- Regeln wider den gesunden Menschenverstand
- Klau unserer Lieblingsbohnen
- Bürokratie um der Bürokratie Willen
- Eine verschlossene Schranke
- Stacheldraht
- Wahl-Prohibition
Nun aber der Reihe nach: Als wir vor zwei Wochen von Bolivien nach Argentinien fuhren, mussten wir 120 km durch Chile fahren. Die Ausreise von Bolivien verlief problemlos. Aus chilenischer Seite stand ein Gebäude mit vielen Aufschriften, unter anderem Policia und Aduana. Bei der Aduana meldet man üblicherweise sein Fahrzeug an bzw. ab. Ich gehe auf das Gebäude zu, und werde am Eingang von einem Beamten mit Maschinengewehr am langen Arm empfangen. Da fühlt man sich natürlich gleich willkommen! Dieser Beamte erklärt mir, dass hier keine Aduana sei, und dass wir alle Angelegenheiten der Migracion (Ein-/Ausreise der Personen) und Aduana (Ein-/Ausreise des Hano) an der argentinischen Grenze in Jama klären könnten. Ich frage nochmal nach, weil ja auf dem Gebäude Aduana stand, worauf er mir unwirsch erklärte, dass hier definitiv keine Aduana sei. Wer argumentiert schon mit einem höchst unfreundlichen Beamten mit Maschinengewehr? Wir gehen davon aus, dass er zwar unfreundlich ist, aber weiß was er sagt, und fahren nach Jama. Dort stellt sich heraus, dass seine Aussage unwahr war. Wir hätten nach San Pedro de Atacama fahren müssen (40 km vom bolivianischen Grenzübergang und 160 km von Jama entfernt, wo wir das erfahren), um die Einreise bestätigen zu lassen. Der junge Mann der Migracion hat ein Einsehen. Er stempelt den Laufzettel ab, dass wir die chilenische Migracion erledigt haben, sodass wir in Argentinien einreisen können. Die Pässe stempelt er jedoch nicht ab – wir waren an diesem Tag also nicht in Chile. Eine pragmatische Lösung. Seine Kollegen von der Aduana wollen uns aber allen Ernstes nach San Pedro zurückschicken, um dort nach Chile einzureisen. Ich kürze die folgende über halbstündige Diskussion ab. Ich weiß nicht, ob es meine Argumente waren (wir haben doch nur befolgt, was uns der Beamte mit dem Maschinengewehr gesagt hat, Sie können doch auch die Einreise aus Argentinien bestätigen – dann können Sie uns doch auch unsere Einreise aus Bolivien bestätigen, …), oder meine Beharrlichkeit, oder vielleicht wollten sie einfach mein schlechtes Spanisch nicht mehr erdulden – nach langem Hin und Her, und nachdem endlich die oberste Chefin der Aduana dazukam, stellten sie dem Hano für diesen Tag Ein- und Ausreisepapiere aus. Der Hano war also offiziell in Chile, seine beiden Fahrer hingegen nicht. Uns egal, wir waren glücklich in Argentinien angekommen.
Als wir dann nach dem tränenreichen Abschied von Argentinien wieder nach Chile einreisten, eigentlich mit der Absicht, den Norden Chiles gründlich zu erkunden, mussten wir uns bei der Einreise der bisher schärfsten und unfreundlichsten Grenzkontrolle stellen. Dass der Beamte, der den Hano durchsuchte, trotz Aufforderung, auf dem ausgelegten Handtuch zu bleiben, alles mit seinen staubigen Stiefeln vollgetrampelt hat, war nur ein Gipfel seiner Respektlosigkeit. Die Zwiebel hatten wir als frisches Lebensmittel angemeldet, und es war klar, dass er sie uns abnehmen musste. Das sind die Spielregeln. Dann durchsuchte er noch die haltbaren Lebensmittel. Weshalb ausgerechnet die Porotos Negros (superleckere schwarze Bohnen) beschlagnahmt werden mussten, die Linsen und das Quinoa hingegen nicht, weiß nur der Himmel bzw. sein Speiseplan. Hätte er doch für sein Abendessen etwas genommen, was man in Chile nachkaufen könnte – aber Porotos Negros haben wir dort in der folgenden Woche nicht gesehen. Vermutlich wollte er sie genau deshalb haben…
Zwanzig Kilometer weiter eine Station der Carabinieros Chilenos. Torsten ging mit den Papieren hinein und ließ den warmen Motor laufen, da wir gerade mal wieder einen Pass erklommen hatten. So kurz nach der Grenze würde die Kontrolle ja nicht lange dauern – dachten wir. Sie wollten alles nochmal wissen, inklusive Beruf, Reiseroute, usw. und gaben alles nochmal in den Computer ein. Was soll man davon halten – da weiß die rechte Hand nicht, was die Linke tut – oder Zwist zwischen den Ämtern – oder schlichtweg vorbildliche Gewaltenteilung? Naja, es war mittlerweile spät und wir waren nach der unbegrenzten Freiheit in Argentinien gespannt, wie gut man in Chile Übernachtungsplätze findet. Wir folgten einem Schild zu einer Lagune, es waren Eintrittspreise angeschrieben. Nach zwei Kilometern Piste standen wir plötzlich vor einer verschlossenen Schranke. Die hätten sie ja gleich zu Beginn der Piste bauen können.
Wir fanden in der Nähe einen ruhigen Übernachtungsplatz, und waren nach einer erholsamen Nacht gern bereit, Chile heute mit neuen Augen zu sehen. Zur Mittagszeit folgten wir einem Schild „pueblo pictorico“ und ließen den Hano einen steilen Berghang hinauftraben. Der als malerisch ausgelobte Ort bestand jedoch aus heruntergekommenen Wellblechbehausungen. Nicht einmal die Landschaft war pittoresk. Immerhin gab es einen schattigen grünen Platz in der Mitte des Ortes – dort könnte man ja picknicken. Dieser kleine Grünstreifen war jedoch mit Stacheldraht umzäunt. Ist es verständlich, dass wir uns verkohlt vorkamen?
Dann ging es weiter nach San Pedro de Atacama. Die Reiseführer warnen ja schon, dass dies seit Jahren kein verträumtes Wüstenstädtchen mehr ist, sondern ein reiner Touristenort, an dem alles so teuer ist und jeder schöne Flecken Eintritt kostet, sodass die Einheimischen, die nicht vom Tourismus leben, sauer aus die Touristen sind. Was der Reiseführer jedoch verschwieg ist, dass auch diejenigen, die vom Tourismus leben, höchst unfreundlich sind. Von allen Touristenkäffern, die wir bisher gesehen haben, ist San Pedro mit Abstand der uncharismatischste. In Uyuni beispielsweise waren viele Touristen – aber dann kamen Scharen von Schulbuben in ihren schwarzen Anzügen, Mädels in ihren blauen Röcken und weißen Blusen, alle mit Zeichenblöcken unter dem Arm, und man merkte, dass es noch ein einheimisches Leben gab. San Pedro ist mit 2000 Einwohnern zu klein, um den Touristenscharen ein eigenes Profil entgegensetzen zu können – aber deswegen müssten sie nicht so unfreundlich sein und einem klarmachen, dass sie einen nur als Melkkuh sehen. Wir wechseln Geld, tanken, finden immerhin zwei Gemüsemarktstände zum Auffüllen unserer Lebensmittelvorräte – und dann kamen wir auf die Schnapsidee, noch nach chilenischem Wein zu suchen, den wir nach wie vor am leckersten von allen südamerikanischen Weinen finden. Nach langem Suchen finde ich den EINEN Laden, der eine Konzession zum Verkauf von Alkohol hat. In den Lokalen gibt es natürlich Wein und Bier, nicht aber in den normalen Läden. Dieser Laden ist heute jedoch geschlossen. Nicht etwa, weil heute Sonntag ist. Sondern weil heute Präsidentenwahl in Chile ist. Alkohol darf erst wieder verkauft werden, wenn die Wahllokale geschlossen haben. Wenn diejenigen, die diese Regel erlassen haben, ihren Landsleuten nicht einmal zutrauen, am Tag zuvor Alkohol zu bunkern, wenn sie sich denn am Wahltag die Kante geben wollen – was für ein Bild sollen wir dann von den Chilenen bekommen? Naja, jetzt ist uns jedenfalls klar, weshalb so viele Plakate mit verlogen-schleimig grinsenden Konterfeien die Straßenränder zierten…
Soviel zu unseren sieben ersten Eindrücken. Wir haben auch einige nette Leute in Chile getroffen. Aber insgesamt hatten wir eher den Eindruck, dass jeder nur nach sich schaut, ein möglichst großes Auto haben will (das erinnerte uns an ein bestimmtes Land in Europa…), und sich nicht um seine Mitmenschen kümmert. In Calama besuchen wir die größte Tagebau-Kupfermine der Erde, Chucuicamata. Die Führung ist lieblos von der Stange, das Loch jedoch beeindruckend: fast 5 km lang, 3 km breit und mittlerweile 1.200 m tief. Die Schwerlader benötigen 30 min um hinunterzufahren, und eine Stunde um vollbeladne wieder heraufzukommen. Wegen des hohen Dieselverbrauchs lohnt sich der Tagebau bald nicht mehr, Stollen mit Förderbändern sind in Planung.
Landschaftlich-kulturell herausragend war der Gigante de Atacama – eine über 100 m hohe indigene Petroglyphe auf einem Berghang, die einen Menschen (oder menschenähnlichen Gott?) darstellt. In dem weniger bekannten und daher ruhigen Nationalpark Isluga fanden wir noch weitere schöne Flecken. Allerdings fiel uns auf, dass die kleinen Dörfer auf dem Land, insbesondere in den Wüstenregionen elendig zerfallen. Während in Bolivien alles gegen die Landflucht getan wird: Schulen und Sporthallen gebaut, Orte mit Wasser und Strom versorgt, … kümmert sich in Chile wohl niemand um die überwiegend von Indigenas bewohnten zerfallenden Dörfer. Schnelles Geld scheint angesagt zu sein.
Als wir uns gerade in hübschen heißen Quellen zu einem Bade in niedergelassen hatten, kamen vier junge Erwachsene: eine Frau und drei Männer. Als sie 30 (!!) Bierdosen an den Beckenrand tragen, schwant uns, dass die Ruhe bald vorbei sein wird, aber was dann kommt, hatten wir wirklich nicht erwartet: sie gehen in voller Kleidung ins Wasser, zerhauen mitten in der heißen Quelle einem jungen Mann 12 rohe Eier über dem Kopf, fangen dann an, Süßigkeiten zu fressen und werfen den Plastikmüll einfach ins Wasser. Innerhalb von 10 Minuten machen sie aus dem heißen Bad, das sich viele Menschen in Frieden teilen sollten, einen Saustall. Eigentlich hatten wir vorgehabt, noch einige Tage in dem Nationalpark zu verweilen, aber da er grenznah gelegen ist, beschließen wir, nach Bolivien zu wechseln. Die Grenzbeamten sind wieder typisch Chilenisch: obwohl wir alle Papiere vorlegen, wollen Sie den Hano nicht auschecken. Wir verstehen nicht, was der Beamte uns sagt, aber das kümmert ihn nicht, er nimmt den Nächsten dran. Ein chilenischer LKW-Fahrer erklärt uns, dass wir noch ein chilenisches Formular ausfüllen müssen, das am anderen Ende des Gebäudes vor dem bolivianischen Aduana-Schalter (?!?) ausliegt. Ein sehr netter Chilene – es gibt sie also doch! Die bolivianischen Beamten sind so nett und herzlich, wie wir sie auch zuvor schon erlebt hatten. Der Beamte, der unseren Hano nach frischen Lebensmitteln durchsucht, bleibt respektvoll auf dem Handtuch stehen. Er will wissen, wo wir denn schlafen, ist fasziniert von der Dusche, und nachdem wir ihm unseren Kühlschrank und das Gemüsefach zeigen, nimmt er die angemeldete Zwiebel an sich. Unsere Hülsenfrüchte interessieren ihn nicht. Und bei der anschließenden Fahrt in ein Seitental, in dem wir die Nacht verbringen werden, sehen wir mehrere neu entstehende Ortschaften, mit Wasser, Strom, im zentralen Ort eine neue Schule und Sporthalle, und die Menschen auf der Straße und auf den Feldern winken dem alten ausländischen Fahrzeug freudig zu. Hurra, wir sind wieder im richtigen Land!