Monat: Januar 2018

Warten auf die Radnabe – auf dem Aussteiger-Bauernhof

Warten auf die Radnabe – auf dem Aussteiger-Bauernhof

8.1.2018-19.1.2018

 

Am 8.1. erst erhält der ADAC die Radnabe und kann sie nach Lima versenden. Sie fliegt von München über Köln, Memphis, Bogota nach Lima. Dort kommt sie am 11.1. an und hängt seitdem zur Freigabe im Zoll. Es ist schon ein sehr kompliziertes Teil, das man offensichtlich aufs Sorgfältigste prüfen muss…

Wir suchen uns einen Platz, der einerseits Internetzugang bietet, andererseits aber weit genug von der lauten und kriminellen Hauptstadt entfernt ist, sodass man ruhig und sicher stehen kann. Allzu weit wollen wir ohne das Ersatzteil nicht fahren, obwohl wir den Schweißkünsten des Mechanikers voll vertrauen. Vermutlich kommen wir mit der geschweißten Nabe bis zum Mond – aber wie ermüdet ist die andere Nabe?

Irgendwo lesen wir von einem Campingplatz, der 60 km vom Zentrum entfernt am Rio Rimac gelegen ist. Das klingt super. Leider ist der Platz verschlossen, es ist schon abends. Auf dem kleinen Hof nebenan sind Leute, ich frage nach dem Campingplatz. Wir dürfen über Nacht auf ihrem Hof stehen, am nächsten Morgen besorgt uns die Familie den Schlüssel zum Campingplatz. Und zur Begrüßung bekommen wir abends gleich einen Teller Kürbissuppe! 2 Meter vor dem Hano steht ein Kalb, das an diesem Morgen erst zur Welt kam. Mir kommt ein Gedanke, den Torsten absurd findet: Ich musste fast 46 Jahre alt werden, bis ich erfuhr, was ein Hano ist. Dieses Kalb lernt den Hano schon am ersten Tag seines Lebens kennen. Aber vermutlich ist das dem Kalb wirklich egal, es wird wohl niemals in einem Hano durch Europa touren…

Die Familie hat vor 5 Monaten ihre Bäckerei in Lima verkauft, das Melken gelernt, 5 Kühe gekauft und ist hierher aufs Land gezogen. Hier auf 1.500 Höhenmetern ist das Klima sehr viel besser als in der Hauptstadt. Haus und Hof befinden sich noch im Aufbau. Für uns bedeutet das mal wieder zweimal täglich melkfrische Milch. Wie lecker!

Wir lassen es uns hier eine Woche lang gut gehen. Kurze Spaziergänge, gut kochen, ausruhen. Am Fluss steht ein Bagger, der drei Tage lang repariert wird. Wir freuen uns ein wenig, dass die Reparatur so lange dauert, weil wir nach Fertigstellung emsigen Baggerlärm erwarten. Doch dem ist nicht so. Der Bagger soll zwar das Flussbett befestigen, damit es in der Regenzeit nicht zu Überschwemmungen kommt, aber er baggert erstens weit weg von unserem Stellplatz, und zweitens nicht allzuviele Stunden (Minuten) am Tag. Nach zwei Tagen ist er auch schon wieder kaputt… Es sind vier Mechaniker zugange, die versuchen, die defekte Einspritzpumpe auszubauen. 

Auf der flussabgewandten Seite befindet sich ein Rangierbahnhof. Von den Minen in den Bergen werden Erze gebracht, die von Lima aus verschifft werden. Die Züge fahren mit Dieselloks aus Nordamerika und England, aus den 50er und 60er Jahren. Einmal kommt ein Zug mit zwei Loks vorne und 49 (!) Waggons den Berg hinunter gekrochen. Die vordere Lok wird abgekoppelt und auf einem Drehkreuz von Hand gedreht (je drei bis vier Bahnarbeiter drehen die 120 Tonnen schweren Loks!). Dann wird der Zug geteilt und fährt weiter in die Hauptstadt. Vom Zuschauen erschöpft, öffnen wir eine Flasche peruanischen Wein und kochen ein wunderbares Gemüse. Wir statten der Bahn täglich einen Besuch ab, es gibt immer etwas Spannendes zu beobachten.

Nachmittags kommen die Kühe auf den Campingplatz zum Weiden. Eigentlich romantisch, aber da wir unser Vorzelt aufgespannt haben, öfters mal Wäsche waschen, und froh sind, wenn die Fliegen bei den Kühen bleiben, halten wir sie auf Distanz. In den ersten Tagen kein leichtes Unterfangen, da insbesondere unser Vorzelt sowohl bei Sonne als auch bei Regen der attraktivste Platz auf dem ganzen Terrain zu sein scheint. Ab dem vierten Tag jedoch kennen die Kühe das Ritual, und wir müssen nur ein paar Schritte auf sie zugehen und in die Hände klatschen und schon trollen sie sich an das andere Ende des Platzes.

Nach einer Woche wird das Warten wirklich öd, zumal unsere Vorräte zur Neige gehen und ich mit drei Zwiebeln und 7 Kartoffeln sowie 4 Tomaten und einer hutzeligen Paprika beide Läden im Ort leergekauft habe.

Dann plötzlich tut sich etwas auf der Sendungsverfolgung: der Status steht nach wie vor auf „Freigabeverzögerung beim Zoll“, jedoch ändert sich der Kommentar von „muss noch vom Zoll geprüft werden“ auf „wird vom Zoll geprüft“, und Tags darauf auf „der Empfänger muss den Warenwert bestätigen“. Endlich können wir im Prozess etwas tun, wir schicken die Rechnung elektronisch an unseren Importeur, der sie umgehend an FedEx weiterleitet – und dann passiert wieder nichts… Dennoch beschließen wir, morgen ein Stück Richtung Lima zurück zu fahren. Dort kennen wir mittlerweile einen gut sortierten Markt, auf dem wir wieder Vorräte auffüllen können, und eine Tankstelle mit WLAN, wo wir diesen Blogeintrag hochladen und Mails abrufen wollen, ob die Radnabe endlich zur Abholung bereit ist.

 

Chasquitambo – Relaisstation für die Inka-Staffettenläufer und den Hano

Chasquitambo – Relaisstation für die Inka-Staffettenläufer und den Hano

Chasquitambo – Relaisstation für die Inka-Staffettenläufer und den Hano

oder Silvester auf drei Beinen

30.12.2017-…

 

Chasquitambo war zur Inkazeit eine Station der Staffettenläufer, mit deren Hilfe Nachrichten binnen weniger Tage im gesamten Reich verbreitet werden konnten. Heute ist es ein kleiner Ort ohne Sehenswürdigkeiten, dessen Obststände und Restaurants am Straßenrand zu einer kurzen Rast auf dem Weg von der Küste in die Cordillera Blanca einladen. Ein netter Ort mit sehr freundlichen Einwohnern, aber dennoch hätten wir ihn nicht für einen Zwischenstopp ausgesucht. Chasquitambo hat uns ausgesucht.

Nach der Temposchwelle am Ortseingang, die Torsten ganz sanft genommen hatte, hatte der Hano im Straßengang plötzlich keine Traktion mehr. Mit Allrad konnte Torsten ihn vorsichtig etwa 10 m zurücksetzen, auf ein kleines Stück Brachland zwischen zwei Häusern. Ich gehe zum Obststand gegenüber, kaufe ein paar superleckere Bananen, und erkläre den Verkäufern, dass wir ein Problem haben, und wohl ein Paar Stunden hier stehen müssen. Auch den Besitzer des Hauses nebenan erkläre ich die Situation. Er hat einen Laden für Tierfutter, bei ihm kaufe ich also nichts. Alle sind sehr nett und sagen uns, dass wir problemlos hier stehen könnten.

Erster Verdacht: Das Kegelrad des Hinterachsdifferenzials. Das macht öfters mal den Müdmeier, also haben wir es als Ersatzteil dabei. Als Torsten es ist einiger Mühe freiprepariert hat, strahlt es uns unversehrt entgegen. Zweiter Verdacht: die Steckachse. Auch sie haben wir als Ersatzteil dabei, aber auch sie ist unversehrt. Als Torsten sie wieder festschrauben will, bemerkt er, dass die Radnabe durchdreht. Die Radnabe ist gebrochen! Das kam nach Aussagen von Hano-Spezialisten noch nie vor, und wir haben keine Radnabe dabei. Wir hatten auf der Fahrt schon viele kleinere und größere Reparaturen, und selbst als der Motor sich zweimal aus seiner Halterung gelöst hat, war der Schaden in 30 min bzw. 3 Stunden behoben gewesen. Und nun das. Der Hano liegt definitiv still!

Ich straffe etwas: Am Tag darauf (31.12.) schafft Torsten es, die Radnabe auszubauen, und kontaktiert mit dem letzten Guthaben unserer deutschen Handykarte einen Hano-Spezialisten, der uns eine Nabe als Ersatzteilbereitstellen kann. Am 1.1. ist leider Feiertag und somit Stillstand. Zu allem Übel funktioniert unsere peruanische SIM-Karte hier nicht, wir haben die falsche Marke, und die funktionierende debitel-Karte will uns die Verkäuferin nicht verkaufen, weil sie zur Anmeldung eine peruanische Steuernummer bräuchte. Glücklicherweise richtet uns eine nette Polizistin auf dem Revier WLAN ein, unglücklicherweise ist es ihr privates WLAN und sie hat ab dem 2.1. keinen Dienst mehr. Am 2.1. kontaktieren wir den ADAC (kurz bevor die nette Dame ihren Dienst beendet), er kann uns die Nabe nach Lima schicken. Allerdings müssen wir vor Ort eine Werkstatt auftreiben, die das Teil für uns importiert, denn Ausländer dürfen das in Peru nicht. Wie macht man das von einem kleinen Ort im Nirgendwo aus, ohne Internet? Freundlicherweise organisiert uns ein netter Polizist dann eine Werkstatt im nächstgelegenen größeren Ort, in der wir die Nabe schweißen lassen können. Dann wäre der Hano wieder flott, und wir könnten nach Lima fahren, um alles Weitere zu regeln. Wir steigen also in ein Collectivo, einen kleinen Sammeltransporter, und fahren für umgerechnet 1,50 Euro die 70 km nach Barranca. In der Stadt nehmen wir dann ein Tucktuck, eines dieser kleinen dreirädrigen Taxis bis zur Werkstatt. Nach längerem Meditieren über der Nabe, werden die beiden Teilstücke mit dem Schweißgerät geheftet. Dann wird wie beim Zahnarzt das nicht tragende „Gewebe“ entfernt. Statt Bohrer erledigt das eine große Drehbank aus den 50ern. Dann wird mit einer beträchtlichen Anzahl an 4mm-Schweißelektroden das abgedrehte Material durch eine Auftragsschweißnaht in mehreren Lagen ersetzt. Alle Überstände werden mehr oder weniger Maßgenau wieder mit der Drehbank entfernt. Dann kommt noch eine zweite Schweißnaht von der anderen Seite hinzu, abdrehen, fertig. Zwei Stunden konzentrierte Arbeit spielt uns das heiße Nabenteil wieder in die Hände. Um 20:00 Uhr sind wir wieder beim Hano zurück und froh, dass wir nun mit Option 2 weitergekommen sind. Außerdem sind wir jetzt auch mal mit den „Öffentlichen“ in Peru gefahren das wäre sonst ja eine Bildungslücke gewesen.

Am 3.1. montiert Torsten die Nabe, es soll den ganzen Tag dauern. Eine ziemliche Nerverei, da doch mit der Schlüsselfeile nachgearbeitet werden muss, bis die Bremstrommel wieder passt.

Nun steht der Hano wieder auf vier Pfoten.

Aber wie lange hält die Reparatur?

Mit einem Ersatzteil fühlen wir uns doch etwas wohler. Also ab nach Lima, abends los, vor Mitternacht übernachten wir an einer gut bewachten Mautstation. Am nächsten Morgen kommt der Berufsverkehr quer durch Lima auf uns zu, bis wir endlich nach endlosem Stop-and-Go vor einem kleinen Geschäft landen. Diese Adresse hatte uns der Polizeitechniker in Chasquitambo vermittelt – ein Cousin. Wir werden abgeholt und weiter geht es zum richtigen Geschäft. Dort nimmt man uns supernett in Empfang. Wir können nun mit ADAC und Ersatzteillieferant telefonieren, die Verschickung in die Wege leiten.

Aber wo übernachtet man im Großraum Lima. Da ist guter Rat teuer.

Wir fahren in Richtung Berge, finden dort für die nächsten vier Tage eine sichere Unterkunft in einem privaten Schwimmbad. Leider keine Internetmöglichkeit, auch nicht über das Mobilfunknetz.

Am 8.1.2018 wird endlich das Ersatzteil vom ADAC versandt. Lieferdatum 15.1.!!!

Was nun? Noch eine Woche ins Schwimmbad? Wir werden sehen.

Manu-Nationalpark

Manu-Nationalpark

17.-22.12.2017

Zu Gast bei Klammeraffe, Tapir und Hornfrosch

Wir hatten uns schon oft gewünscht, so richtig tief in den Urwald vorzudringen, aber die Scheu vor den unbekannten Gefahren hatte uns bisher davon abgehalten. Zudem kann man auf eigene Faust (also mit dem Hano) ja nur auf den Straßen fahren und somit nicht bis ins „Herz des Urwalds“ vordringen. Also ist uns klar, dass wir eine geführte Tour machen müssen. Die erste gebuchte Tour in unserem Leben! Aber wir haben in jeder Hinsicht Glück:

  1. Die einzigen Mitreisenden sind ein supernettess und ruhiges junges Pärchen. Also perfekt für Tierbeobachtungen und das intensive Erleben der üppigen Natur, die uns in den sechs Tagen begegnen wird.
  2. Die gesamte Crew ist nett und extrem aufmerksam – und von der Liebe zur Fauna und Flora des Dschungels beseelt. Nicht nur Alex, der Tourguide, zeigt uns Pflanzen und Tiere, sondern auch die Fahrer achten auf Tiere und machen langsam bzw. halten an, wenn es etwas Spannendes zu sehen gibt, oder wenn sie merken, dass einer von uns sein Fernglas oder seine Kamera zückt. Bernardino, der Koch, zaubert aus regionalen Zutaten mit den bescheidenen Koch-Möglichkeiten im Dschungel dreimal täglich Köstlichkeiten, mit denen er uns verwöhnt (mästet), kennt aber auch die Tiere. Somit haben wir eine intensive Betreuung, und alle teilen vollen Herzens ihre Kenntnisse und Naturliebe mit uns.
  3. Es ist die letzte Tour in der Saison, wir kamen also gerade noch rechtzeitig. Die Regenzeit hat bereits begonnen, und einige Erdrutsche haben die Straßen schon schwer passierbar gemacht. Auf dem Rückweg müssen wir sogar einen Umweg fahren (über die Inka-Terassen von Pisaq, wie praktisch für uns!), weil die eigentliche Straße nicht mehr passierbar ist.
  4. Das Wetter spielt auch mit: Es ist Regenzeit, und an drei von sechs Tagen regnet es teilweise. Was wäre auch der Regenwald so ganz ohne Regen? Der meiste Regen fällt jedoch nachts, sodass wir für diese Jahreszeit erstaunlich viele Tiere zu sehen bekommen.

Ich habe also schon vorweg genommen, dass es eine gelungene Tour war, bei der wir wirklich viel über den Lebensraum und die Tiere gelernt haben. Und wir haben so etwa in der Halbzeit unserer Reise mal „Urlaub vom Hano“ gemacht. Nicht dass wir das dringende Bedürfnis danach gehabt hätten, aber es tut immer gut, ein eingespieltes System zu durchbrechen, um dann wieder mit neuen Augen auf dasselbe blicken zu können.

Nun aber zurück zur Tour: Am ersten Tag verlassen wir Cusco (3.300 m) morgens um 4:30 Uhr, damit wir pünktlich zum Sonnenaufgang im Nebelwald sind. In einer steilen Schlucht durchfahren wir langsam den Nebelwald. Es sind dichte Wälder aus buchenähnlichen Bäumen (die Biologen mögen mir diese ungenaue Bezeichnung verzeihen), einzelnen Baumfarnen (siehe Blogeintrag über den Amboro-Nationalpark), Cecropien, pinkfarben blühenden oreocalis frutilis, usw. Wie der Name sagt, nebelverhangen, und durch die steile enge Schlucht hat man einen faszinierenden Blick auf die gegenüberliegende Seite – und kann dort mit dem Fernglas sogar große Vögel und herumtollende Affen in den Bäumen erkennen! Alex zeigt uns voller Hingabe viele Vögel, von kolibri-klein bis Guan-groß. Wir sehen auch den peruanischen Nationalvogel, den Felshahn (coq in the rock). Die Männchen sind in der vorderen Hälfte knallrot, hinten schwarz, und tragen vor der Brutzeit wohl herzergreifende Werbe-Tänze auf, um die Gunst der schönsten Weibchen zu erwerben. Die Weibchen haben ein verhalten weinrotes Gefieder – wenn sie denn mal auf den Eiern sitzen, sollen sie gut getarnt sein, und nicht optisch so hervorleuchten wie die Männchen. Nach den vielen Vögeln sind wir begeistert, als auf der gegenüberliegenden Seite viele nebeneinanderliegende Bäume wackeln. Eine Wollaffen-Familie macht gerade die Baumkronen unsicher. Äste brechen ab und fallen zu Boden. In den nächsten Tagen sollen wir dieses Spektakel  dann noch öfters hautnah erleben. Wollaffen sind nämlich sehr aggressiv und kaum scheu. Als wir dann drei Tage später im Regenwald unter einer Herde Wollaffen hindurchlaufen, und Alex das Alfa-Männchen durch perfekte „Uh-Uh-Uh“-Laute reizt, tollt das Männchen direkt über uns herum, sodass wir den herunterfallenden Ästen ausweichen müssen. Doch lassen wir uns durch diese Demonstration seiner Dominanz leider nicht vertreiben, sondern zücken unsere Ferngläser, um die Mimik des aufgebrachten Männchens zu studieren. Das bringt ihn natürlich noch mehr in Fahrt…

Die Urwald-Lodges, in denen wir übernachten, sind faszinierend: Die Wände sind aus Tropenhölzern und Fliegengittern gefertigt. Darüber ein überlappendes Dach aus Stroh oder Palmblättern. Zwischen Wänden und Dach ist jeweils ein breiter Spalt offen. Das hat den Vorteil, dass Insekten, die aus Versehen in die Hütte fliegen, auch wieder herauskommen – ansonsten würden sie sich unter dem Dach sammeln. Ich bin überrascht, dass wir tatsächlich sehr wenige Tiere in den Zimmern finden. Diese wenigen werden dann durch die Moskitonetze abgehalten, unter denen wir schlafen.

Draußen tobt in der Nacht das pralle Leben. Die Eulen hören wir nur, bekommen sie aber nicht zu Gesicht. Beim Spaziergang um den kleinen Teich der Lodge sehen wir eine dicke Kröte, einen kleinen Frosch, eine „Gottesanbeterin“, die gerade ihre Beute verspeist, und einige recht große Wolfsspinnen. Dann noch eine „schwarze Hexe“ und andere große Nachtfalter. Der Höhepunkt des Nachtspaziergangs sind natürlich die Vogelspinnen. Zwischen den Häusern (nur 20 m von unserem Zimmer entfernt!) ist ein Erdhaufen, in dem die Vogelspinnen wohnen. Alex lockt sie mit einem nur 30 cm langen Grashalm aus den Löchern. Trotz Spinnenphobie kann ich sie aus 2 m Entfernung beobachten, ohne das Grausen zu bekommen. Ich bin ganz verwundert, dass ich danach auch ruhig schlafen kann, denn das Zimmer ist wie gesagt oben offen und theoretisch könnten die Vogelspinnen ja zu mir ins Bettchen krabbeln. Aber sie tun es nicht – ich passe nicht ins Beuteschema, und die Zimmer sind viel zu aufgeräumt und tierarm, als dass sie für die Vogelspinnen interessant wären.

Am nächsten Tag steigen wir dann ins Boot um und verlassen somit die allgemein zugängliche „Kulturzone“ des Nationalparks, um in das Herz des Reservats vorzudringen. Zunächst fahren wir auf dem großen Fluss „Madre de Dios“ nach Osten. Er fließt recht schnell und hat eine graue Farbe. In den vielen Schleifen sind die „äußeren“ Ufer oft zu Steilwänden ausgewaschen, in den „inneren“ Ufern haben sich meist Sand-, Kies- oder Steinbänke gebildet. Herabgefallene Bäume sorgen für Untiefen und teilweise starke Strudel. Die Bootsfahrer sind sehr erfahren und umfahren die kritischen Stellen weitläufig. Nach etwa 70 km biegen wir nach Norden in den Rio Manu ein. Dieser hat eine bräunlich-schlammige Färbung und fließt deutlich langsamer. Die nächste Lodge ist nach wenigen Kilometern auf dem Manu-Fluss erreicht. Um die Häuser herum sind Bananen und sonstige Früchte gepflanzt – wodurch wir diverse Affen hautnah erleben können: Totenkopfaffen und Kapuzineraffen kommen und räubern die Früchte. Und wie! Von einer Bananenstaude beißen sie jede Banane an, und springen dann in den nächsten Baum, um ihn zu plündern. Mit wenigen Bissen sind also alle Bananen dem menschlichen Gebrauch entzogen! In dieser Lodge werden wir aber nicht schlafen. Nach der Ankunft haben wir eine knappe Stunde Zeit zum Ausruhen und Nachtrucksack Packen. Dann wandern wir etwa eine Stunde lang zu einem Tümpel, zu dem nachts gern Tapire kommen. Daneben hat man eine mehrere Meter hohe überdachte Beobachtungsplattform gebaut, ohne Wände. Einige Matratzen hängen unter dem Dach, die wir ausschütteln und aus denen wir uns ein Bettlager bauen. Jeder hängt sein Moskitonetz über seine Matratze. Wir werden Nachtwache halten: Jeder muss anderthalb Stunden lang wachen und alle 10 Minuten, bzw. wenn er etwas hört, vorsichtig den Tümpel ableuchten. Sollten tolle Tiere, z.B. Tapire dort sein, macht man die Lampe sofort wieder aus und weckt beide Nachbarn. Wenn alle wach sind, macht Alex seine starke Lampe an und leuchtet vorsichtig  den Tümpel ab. Er hat viel Erfahrung darin, die Tiere nicht mit dem Licht zu erschrecken. Aber da es in Strömen regnet, macht er uns nicht viel Hoffnung auf Tapire. Doch wir haben Glück – sieben Tapire werden wir sehen. Die Tapire sind wirklich faszinierend: Leichtfüßig steigen diese Kolosse in den Tümpel und wieder aus diesem heraus. Beim Laufen im Tümpel platscht es ein wenig, aber die Tapire sind viel leiser als die Frösche, die an den Rändern des Tümpels  hausen und sich die ganze Nacht lang wichtig machen. Der Tümpel soll mineralreich sein, weswegen die Tapire (und tagsüber auch Affen und andere Tiere) gern hierher kommen, um davon zu trinken. Irgendwie merken sie unsere Anwesenheit, sei es den nicht dschungeltypischen Geruch, sei es die Lampe, die Alex vorsichtig einsetzt. Ab und zu sehen sie nämlich zu unserer Plattform herauf und wittern, wobei sie ihr Mäulchen öffnen und den kurzen Rüssel rümpfen, um ja den Geruch vollständig zu erfassen. Ihre kurze struppige Mähne steht dabei lustig in die Höhe. Aber sie nehmen uns nicht als bedrohlich wahr, denn viele verbringen viele Minuten in dem Tümpel, schlürfen, wittern, schlürfen und wittern wieder, und steigen dann ganz langsam und vorsichtig ans Ufer, um im Dickicht zu verschwinden. Das letzte, was man von ihnen sieht, ist der runde aparte Hintern mit dem kurzen dünnen Schwänzchen. Ich fand Tapire wegen ihrer absurden Kopfform schon immer faszinierend – aber in dieser Nacht habe ich sie richtig lieb gewonnen. Diese Tapire haben nichts gemeinsam mit den Bildern, die ich aus den Zoos kenne:  massige Tiere, die teilnahmslos mit hängendem Kopf dastehen. Vermutlich sind auch die Tapire in den Zoos eher nachts aktiv – aber weshalb setzt man sie dann tags den neugierigen Blicken aus?

Um 4:00 ist die letzte Nachtwache rum und wir brechen auf zurück zur Lodge, um unser restliches Gepäck zu holen und bei Sonnenaufgang schon wieder auf dem Boot zu sein – gefrühstückt wird auf dem Boot! Es geht weiter den Rio Manu hinauf, bis zu einer Lodge, die von Urwald-Indianern betrieben wird. Als der Nationalpark eingerichtet wurde, wurden natürlich nicht nur Tiere und Pflanzen geschützt, sondern auch die dort lebenden Menschen. Zum Zeitpunkt der Parkgründung waren mehrere Stämme bekannt, die zwar seit (einigen) hundert Jahren losen Kontakt zur Zivilisation hatten, aber doch noch ihre eigene Kultur mit nur wenigen Anpassungen wie Kleidung, Häusern und Plantagen behalten haben. Sie haben heute Zugang zu Arztstationen, helfen sich aber nach wie vor lieber mit den ihnen wohl bekannten Pflanzen aus dem Wald. Nur bei lebensgefährlichen Schlangenbissen,  Verletzungen usw. kommen sie zu den Medizinstationen. Diese Stämme sind auch weitgehend immun gegen unsere Krankheiten, weshalb ein geringer loser Kontakt wie beispielsweise in der Lodge möglich ist. Zwei Männer des Matchiguenka-Stammes betreuen die Lodge, die übrigen (über 100) meiden uns lieber. Diese Stämme dürfen in gewissen Gebieten auch jagen und fischen, die Kerngebiete des Parks sollten auch sie meiden. 2009 tauchten dann plötzlich einige nackte Indianer am Flussufer auf, die eine Rangerstation mit Pfeil und Bogen beschossen. Ein bisher unbekannter Stamm war aufgetaucht. Mit einer unbekannten Sprache. Dieser Stamm betreibt keine Plantagen, sie leben noch völlig als Jäger und Sammler. Das wurde zum Problem, als sie merkten, wie einfach es sich in den Plantagen der sesshaften Indianerstämme sammeln lässt. Mittlerweile hat die Regierung einen Anthropologen damit betraut, Kontakt mit ihnen aufzunehmen und ihnen klarzumachen, dass sie in einem Nationalpark leben (wie sagt man das in einer Sprache, die man gerade erst lernt…?), dass sie in einem gewissen Gebiet bleiben sollen, und nicht die Plantagen der anderen Stämme plündern sollen (wie sagt man das Menschen, die keinen Begriff für „Besitz“ haben…?). Ein nicht ganz einfaches Unterfangen. Zumal außer den 7 Personen, die Kontakt zu dem Anthropologen haben, noch über hundert weitere Angehörige dieses Stammes vermutet werden. Immerhin ist der Anthropologe so weit gekommen, dass er ihnen die Angst vor uns genommen hat und sie aufgehört haben, Ranger, andere Indianer und Touristen mit Pfeilen zu beschießen. Es hat uns gefreut zu hören, dass hier sehr subtil mit allen Park-Bewohnern umgegangen wird, und nicht die Menschen und Tiere für eine Touristenshow mehr als nötig gestört werden.

In der Nähe dieser Lodge, in der wir 2 Nächte verbringen, befinden sich zwei Seen, die Touristen zugänglich gemacht werden. Der Cocha Salvador darf mit einem Katamaran befahren werden, die Ruder muss man jedoch selbst mitbringen. Den Cocha Otorongo kann man nur von einer Plattform aus überblicken. Hier sind manchmal Riesenotter zu finden. Um es abzukürzen: wir sehen die Otter nicht, obwohl wir viermal den Cocha Salvador abrudern. In der Hochsaison hat jede Gruppe ein Zeitkontingent und darf nur einmal rudern. Weil Alex uns unbedingt den Riesenotter zeigen will, ändert (verlängert) er den Plan und wir rudern am Nachmittag des Ankunftstages, am Morgen und Abend des Tages, den wir dort verbringen, und bei Sonnenaufgang am Abreisetag auf dem See. Wir bestätigen ihm, dass es für uns keine Enttäuschung ist, den Riesenotter nicht gesehen zu haben, aber eine echte Bereicherung, diesen See an vier verschiedenen Tageszeiten gesehen zu haben. Viele Tiere sehen wir auf allen Fahrten, aber sie haben teilweise ein tageszeitspezifisch unterschiedliches Verhalten. Außerdem merken wir, wie unser Blick sich durch die Wiederholung schärft, sodass wir wissen, worauf wir zu achten haben, und einige Tiere schon wiedererkennen. Viele Leute, die im Urwald waren, beklagen sich, dass er so „leer“ sei. Aber das stimmt nicht. Der Urwald ist voller Tiere – aber er ist sehr blickdicht, und die Tiere haben Angst vor Fressfeinden und zeigen sich daher nicht so prominent. Man muss sorgsam auf Geräusche achten, die vom Wind herrühren können, aber eben meist von Tieren stammen, auf Blätterrascheln, und sonstige Laute. Viele Vögel verraten sich durch ihren Gesang, andere nur durch Bewegungsrascheln, und wenn mehrere Bäume wackeln und Äste fallen, dann ist es meist eine Affenherde. Brüllaffen markieren ihre Reviere durch das Geschnarre des ranghöchsten Männchens. Als wir das Geräusch zum ersten Mal hören, denken wir an elektronische Gruselmusik aus einem Science Fiction Film. Wie jemand auf den Namen „Brüll“affe kommen konnte, ist uns unerklärlich. Als wir das Geräusch zum zweiten Mal hören, verkünden wir Alex stolz „howling monkeys“ und er nickt bestätigend. Irgendwann bekommen wir sie auch von Nahem zu sehen. Ebenso wie die schlanken gelenkigen Klammeraffen, die so viel herumtollen, dass sie ganz muskulös sind, und ihr Fleisch daher von den Urwald-Indianern als das zarteste aller Affengerichte geschätzt wird. Am letzten Tag sehen wir auch zwei Tamarin-Arten, darunter den Kaiserschnurrbart-Tamarin. Alex hält ihn für den schönsten aller Affen, ich finde ihn potthässlich – weshalb trägt ein Affe einen langen herabhängenden Robbenbart? Ich merke mal wieder, dass ich das Zeug zur Biologin nicht besitze.

Zum Frühstück kommen Totenkopf-Affen zu verschiedenen Obstbäumen direkt am Seeufer und plündern diese. Dabei fallen auch viele Früchte ins Wasser. Das lockt Fische an, die wir platschen sehen, diese wiederum locken die Brillen-Kaimane an, die schon etwas weiter aus dem Wasser schauen. Auch die Affen kommen so zu einer Fischmahlzeit, wenn sie geschickt sind und sich trauen, zwischen den Kaimanen zu fischen. Um die Mittagszeit sehen wir sehr viele Baumwipfel wackeln und hören wildes Affengeschrei – wir werden Zeugen eines Kampfes Klammeraffen gegen Wollaffen. Abends hangeln sich die Klammeraffen zum Trinken ans Wasser hinunter. Wir sehen am Seeufer natürlich auch viele Vögel: Eisvögel, Reiher, Seeadler, usw. Am absurdesten sind die Hoatzin. Es sind entwicklungsgeschichtlich sehr alte Vögel, die mit ihrem willenlosen Haarschopf etwas dümmlich aussehen, und sich laut Alex gegen Fressfeinde dadurch schützen, dass sie extrem stinken. So nah kommen wir aber nicht heran, um letzteres überprüfen zu können. Unsere Bootsleute fangen für uns einen Piranha, Alex hält ihm ein Blatt hin. In Windeseile hat das Blatt zwei Bissspuren – der Piranha hat so schnell zugebissen, dass wir es gar nicht sehen konnten!

Als wir wieder vom See zur Lodge zurückwandern, sehen wir den seltenen Hornfrosch. Was für eine Freude! Er sitzt unbeweglich da und wackelt mit dem mittleren Vorderzeh, um Beutetiere anzulocken. Fällt ein Tier auf den Trick herein und will den Zeh fressen, schnellt die Zunge des Hornfrosches hervor und es ist um das arme Tier geschehen. Weil der Hornfrosch aber so still sitzt, bis Beute kommt, ist er von Menschen auch leicht zu fangen und daher sehr bedroht. Wir fotografieren ihn wirklich von allen Seiten, und er rührt sich gar nicht.

Bei Nachtspaziergängen sehen wir auch die Geißelspinne – unser größtes Exemplar hat eine Beinspanne von 30 cm, sie sollen aber bis zu 60 cm lang werden können! Da sie gar nicht spinnenartig aussehen, sondern eher wie Krabben, habe auch ich meine Freude an ihnen. Wir finden auch ein kleines Maus-Opossum, Bambusratten, und eine südamerikanische Wasserschlange.

Das Hauen und Stechen im Urwald beschränkt sich aber nicht nur auf die Tiere, sondern setzt sich im Pflanzenreich fort: Würgefeigen klammern sich um bestehende Bäume, erwürgen diese im Laufe vieler Jahre und sichern sich so ihren Platz an der Sonne. Wir finden eine hohle Würgefeige, deren innerer Baum mittlerweile verrottet ist, und in der gut und gern 5 Personen Platz fänden. Da alle Winkel aber voller Spinnennetze sind, gehen wir nur einzeln hinein – keiner will im Eck stehen! Der Capirona-Baum schützt sich vor solchen Kletterern, indem er regelmäßig seine Rinde abwirft. Die Palmera caminante  ergattert sich „passiv“ die beste Sonnenstelle: sie wächst auf einem Ring aus Stelzenwurzeln, die sich mit einem Radius von über einem Meter um eine Hauptwurzel herum scharen. So kann sie durch unterschiedlich starkes Wachstum der Stelzen ihren Standort verlagern – um 1…2 Meter, und natürlich über viele Jahre hinweg.

Es gäbe noch viel zu berichten, und wir wären gern noch länger geblieben, um noch mehr zu erleben und an Zusammenhängen zu begreifen. Am letzten Abend besteigen wir eine etwa 30 m hohe Plattform, die in einem lichten Waldstück steht. Die höchsten Bäume sind 60 m hoch, wir sehen also den kleineren Bäumen in die Wipfel hinein, die großen aus halber Höhe. Leider regnet es, was einerseits den Aufstieg schwierig macht, und andererseits die Tiere in den Schutz der Blätterdächer treibt. Wir sehen einige Aras, durch die Nähe sieht man auch deren schöne Farben, und sonstige Vögel. Die Lichtstimmung ist gigantisch, als der Regen aufhört – und obwohl wir nicht so viele Tiere gesehen haben, war das Erlebnis des Regenwaldes hier sehr intensiv. Ein wunderbarer Ausklang unseres kurzen Abstechers in den Regenwald!

Weihnachts-Kondore auf der Vicuña-Station

Weihnachts-Kondore auf der Vicuña-Station

24.-26.12.2017

Am Weihnachtsabend erreichen wir nach einem langen Fahrtag auf dem Weg von Cusco nach Nasca das Nationalreservat Pampa Galeras. Es ist schon dunkel, als wir im Innenhof parken, die Station kommt uns unbewohnt vor, doch plötzlich stehen Milli, die Rangerin, und Santiago, der Biologe, vor uns. Ja, bei dieser Forschungsstation darf man kostenlos übernachten, nach Voranmeldung auch in deren Gästezimmern, und man steht hier absolut sicher. Welche Erleichterung!

Wir kochen zunächst unser Weihnachtsmenü: ein leckeres Gemüse mit frischem Choclo (spezielle Maissorte), den wir eine Stunde zuvor einem kleinen Jungen abgekauft haben, der mit den erntefrischen Maiskolben gewunken hatte. Als Nachtisch zaubert Torsten mit Pisco flambierte Mango (auch erntefrisch) mit Kakaosauce. Der Preis für den Gaumenschmaus: die Hitze – nicht die Flammen! – haben die Moskitonetze an den beiden Dachluken angeschmort, am nächsten Tag nähe ich drei Stunden lang Flicken auf die Löcher. Das war es aber allemal wert! Die Station liegt auf 3.900 m Höhe, und als wir einen kleinen Verdauungsspaziergang machen, sehen wir den bisher tollsten Sternenhimmel in den Anden. Zuvor waren wir von dem Sternenhimmel immer etwas enttäuscht gewesen: zwar reichten die Sterne von Horizont zu Horizont, aber es waren immer „so wenige“. In entlegenen Flecken Europas (Ísland, Sardinien, Nordspanien) hatten wir schon viel „vollere“ Sternenhimmel gesehen, und hatten hier noch mehr Sterne erwartet. Klar – wir sehen ja auf der Nordhalbkugel immer die Milchstraße, die „füllt“ gut, und die hatten wir bisher in Südamerika nicht gesehen. In Nord-Chile beispielsweise hatte Orion ungewohnt auf der Seite gelegen, quasi auf dem Horizont geschlafen, und Cassiopeia war als „M“ anstatt wie bei uns als „W“ zu sehen. Heute abend steht Orion schon recht hoch, und wir sehen ein Stückchen Milchstraße, also endlich haben wir das, was wir immer gelesen und somit erhofft hatten: einen „vollen“ Sternenhimmel in den Anden. Ein wunderbares Weihnachtsgeschenk.

Am nächsten Morgen zeigt uns Santiago das Museum mit einigen ausgestopften Tieren aus der Region,  und Fotos von der Vicuña-Zucht und –Schur. Die Station wurde in den 60’er Jahren aufgebaut, um die damals nur etwa 500 Vicuñas zu schützen. In den 70’ern fielen viele der Tiere und auch einige Ranger dem Sendero Luminoso zum Opfer, daher wurde die Station aufgegeben und 1979 mit deutscher Unterstützung wieder aufgebaut. Mittlerweile leben wieder 200.000 Vicuñas in Peru. Diese zierlichsten der Andenkamele haben das feinste Fell (1 kg Wolle bringt 500 USD ein!) und wurden deshalb gejagt, heute hat man die Jagd ziemlich zurückgedrängt und sichert so einigen indigenen Commiunidades in den Anden, die diese Tiere halten und einmal im Jahr „sanft“ scheren, ihr Auskommen. Das ist der Unterschied zwischen Nationalparks, wie Manu (siehe voriger Blogeintrag), in denen die Tiere nicht gestört oder genutzt werden dürfen, und den Nationalreservaten, in denen Forschungsstationen angesiedelt sind, und die Tiernutzung, z.B. Schur,  erlaubt ist.

Eigentlich wollten wir nach dem Museumsbesuch weiterfahren, als uns Santiago von den Kondoren erzählt. Ganz in der Nähe befindet sich ein Berg, an dem sich die Kondore bei Sonnenaufgang sammeln, um von hier aus gemeinsam ihren täglichen Flug zu starten. Sie fliegen dabei bis ans Meer, 150 km, in die Nähe von Nasca. Im Dezember sind es meist nur um die 20 Kondore, im Juni bis zu 50. Abends treffen sie sich wieder bei diesem Berg, bevor die einzelnen Familien ihre Unterkünfte beziehen.  Heute abend will er wieder Kondore zählen gehen. Also beschließen wir, den Tag hier zu verbringen und abends  mit ihm Zählen zu gehen! Wir verrichten einige technische Dienste (Moskitonetz flicken, bzw. Torsten bringt den Hano wieder auf Vordermann) und machen einen schönen langen Spaziergang über die Hochebene, um die frei lebenden Vicuña-Familien zu beobachten. Zwei Vicuñas, die von ihren Familien aufgegeben wurden, werden auf der Station geroßgezogen: Nena, 7 Monate alt, und ganz „hembra“: scheu und verschmust; sowie „Juanito“, 6 Monate alt, und ganz „macho“: er beißt gern in Schuhe, Knie, oder von hinten und guckt einen dann mit großen unschuldigen Augen an… Da sie beide im Alter von wenigen Tagen gefunden und auf die Station gebracht wurden, und seitdem von Milli mit Milch aufgezogen werden, folgen sie ihr auf Schritt und Tritt, bis ins Büro.

Am Nachmittag dann die Enttäuschung: dicke Wolken verhängen den Berg und versperren die Sicht. Wir beschließen dann, am nächsten Morgen früh zum Kondorberg zu starten, und ich frage zweimal nach, ob es ausreicht, um 6:00 loszufahren, was Santiago bejaht. Am nächsten Morgen haben wir auch tatsächlich Glück mit dem Wetter: klarer Himmel, dafür -4°C. Für uns mit unserer Standheizung kein Problem, aber die Rangerstation ist unbeheizt… Verfroren kommen die beiden zum Hano und freuen sich dann über den Wärmekomfort bei der Fahrt. 5 km rennt der Hano über die geteerte Straße, und schaukelt dann langsam weitere 3 km über eine rumpelige Piste, die wir allein nie gefunden hätten. Als wir am Kondorberg ankommen, sind die meisten Tiere schon abgezogen. Ich erwische mich bei dem typisch deutschen Gedanken „wären wir doch eine Stunde früher losgefahren, und hätten lieber bis Sonnenaufgang im Dunkeln und Kalten gefroren, um ja keines der Tiere zu verpassen“, und bin mir nicht ganz sicher, ob Santiago sich mit der Zeit verhauen hat, uns das frühe Aufstehen nicht zumuten wollte, oder einfach nicht frieren wollte. Die Kondore haben eine festgelegte Startreihenfolge: zuerst die erwachsenen Männchen, dann die erwachsenen Weibchen, dann die Jungs, zuletzt die Mädels. Zwei dieser Mädels machen uns aber eine Riesenfreude: Sie setzen sich ganz in unserer Nähe auf einen kleinen Hügel, um sich vor dem Start in den ersten Sonnenstrahlen aufzuwärmen. Sie lassen uns ganz nah herankommen. Nach etwa 15 Minuten breiten sie ihre Schwingen aus und entfliegen dann majestätisch in Richtung Küste. Ein Super-Erlebnis, gewissermaßen „Klasse“ statt „Masse“.  

Da Santiago heute in das Büro nach Nasca fahren muss, freut er sich über unser Angebot, ihn mitzunehmen. In so einem tollen Fahrzeug wie dem Hano ist er noch nie mitgefahren, und die Fahrweise der Collectivo-Fahrer ist auch den meisten Peruanern ungeheuer: überhöhte Geschwindigkeit, und bei jeder Gelegenheit wird überholt, bevorzugt in Kurven und vor Hügelkuppen… Zwei Stunden gibt er uns als normale Fahrzeit an, wir warnen ihn vor, dass es mit dem Hano dann vier Stunden dauern könnte, aber das reicht ihm, er muss erst am Nachmittag im Büro sein. Die Straße ist jedoch prima, und wir sind in zwei Stunden da. Ein wenig schade, denn auf der Fahrt gehen uns die Gespächsthemen nicht aus. Wir erfahren zum Beispiel, dass man einen Führerschein für 300 Soles kaufen kann, das ist billiger als Fahrstunden zu nehmen. Daher kennen viele Autofahrer die Verkehrsregeln überhaupt nicht, und das erklärt uns das Chaos auf den Straßen. Wir sind mal wieder froh über unsere nachgerüstete Hupe, sie hilft schon gut, um entgegenkommende Fahrzeuge auf ihre Seite zurückzutreiben.

Wie kann man sich ein schöneres Weihnachtsfest vorstellen, als ohne Handynetz und Internet den ersten Feiertag mit Vicuñas zu verbringen, und den zweiten mit Kondoren zu beginnen? Als wir wenige Kilometer nördlich von Nasca (ca. 500 m.ü.N.N.) auf einen Aussichtsturm steigen, um drei der berühmten Figuren anzusehen, sehen wir zwei Kondore fliegen. An dem dunklen Federkleid erkennen wir, dass es Jungtiere sind (Erwachsene bekommen eine weiße Zeichnung an den Schwingen und die typische weiße Halskrause), und an dem geraden Kopf ohne „Beule“, dass es Mädchen sind. Die Nasca-Linien liegen genau in der Luftlinie zwischen dem Kondorberg von heute morgen, und dem Strand, an dem die Tiere schon öfter gesichtet wurden. Höchstwahrscheinlich sind es also unsere Freundinnen, deren Start wir vor drei Stunden in den Bergen beobachtet haben!

Die Wiederentdeckung der Milch

Die Wiederentdeckung der Milch

10.12.2017 in Tinajani, Peru

Der Grenzübertritt von Bolivien nach Peru war interessant. Auf beiden Seiten waren die Grenzbeamten sehr nett, alles lief glatt. Der peruanische Beamte der Aduana versuchte vergeblich, „Rheinstahl-Hanomag“ als Automarke in das Pull-Down-Menü einzugeben, und begnügte sich dann mit „otro/other“. Dann war er ganz stolz, als er den Wohnort „Eggenstein-Leopoldshafen“ fehlerfrei eingegeben hatte. Ein kurzer Blick in den Hano, wir dürfen passieren. In Peru gibt es plötzlich Fahrrad-Rikschas, dreirädrige Autos ähnlich den italienischen Apes, allerdings aus China, usw. Das Bild der Orte wandelte sich wirklich von einem Meter auf den anderen, auch die Menschen sehen anders aus., viele kleiden sich westlicher. Und die Märkte – waw!! Während es in Bolivien all das gab, was um den Titicaca-See herum angebaut wurde, also Kartoffeln, Bohnen, Mais, … , gibt es hier nun zusätzlich alle Früchte und Gemüse der Küsten- und Urwaldregionen. Ein totaler Augen- und Gaumenschmaus!

Was es aber nicht gibt, ist Milch. Nur Kondensmilch. Ich trinke ohnehin Tee, Torsten nun seinen Kaffe schwarz. Als wir vom Titicaca-See nach Norden Richtung Cusco fahren, machen wir einen Zwischenstopp zum Wandern im Tinajani-Tal, auf 3.950 m gelegen. Nette Felsformationen, die zu einer kleinen Tageswanderung einladen, also verbringen wir zwei Nächte auf einem Bauernhof, der ein kleines Museum eingerichtet hat und Tagesgäste sowie Camper beherbergt. Als wir draußen unser Abendessen kochen, werden die Kühe von der Weide in den Stall getrieben. Wir reagieren nicht sofort. Als am nächsten Morgen ein kleiner dreirädriger Transporter hält und die Morgenmilch abholt, gehen wir sofort hin. Die Morgenmilch ist aber schon verkauft. Der Käufer ist der Bauer von nebenan, der eine Käserei betreibt. Kurze Zeit später treibt die Bäuerin die Kühe aus dem Stall. Durch einen kleinen Fluss auf eine Weide mit Ichu-Gras und Binsen. Stolz erzählt sie mir, dass dies ihr Beruf ist, Kühe hüten. Den ganzen Tag lang betreut sie die Kühe, treibt sie jeweils nach einer gewissen Zeit des Grasens weiter. Die Kühe haben keine übervollen Euter, sie sind nicht auf Hochleistung gezüchtet.

Nach unserer Wanderung bringen wir eine leere 1,5 Liter Flasche zum Bauernhof. Kurze Zeit, nachdem die Kühe abends wieder in den Stall kommen, bekommen wir die melkwarme Milch gebracht. Der Bauer mahnt uns, die Milch zu kochen. Es erfreut uns, dass er ähnliche Hygienevorstellungen hat wie wir. Aus der einen Hälfte kochen wir uns einen Schokoladenpudding. Großartig! Die andere Hälfte kochen wir ab und verwenden Sie für den Café. Die Milch riecht wunderbar und frühste Kindheitserinnerungen von Urlauben in den Bergen werden bei uns beiden wach. Ich mache mich voller Freude über die Milchhaut her. Ja, auch ich trinke einen  Michcafé . Der sahnige Geschmack ist unglaublich. So einen leckeren Café haben wir beide seit langer Zeit nicht mehr getrunken. Leider ist sie am Tag danach schon ausgetrunken, aber wir sind schon gespannt, wann wir wieder mal einen solchen Bauernhof finden. Auf jeden Fall fahren wir am nächsten Morgen bei der Käserei vorbei und kaufen von jeder Sorte ein Käserad: Jung, reif, mit Kräutern aus der Umgebung, mit rotem Quinoa. Letzteren haben wir mittlerweile Bissen für Bissen genossen, es war – außer zwei leckeren Ziegenkäsen – mit Abstand der beste Käse in Südamerika! Und wir freuen uns schon auf die übrigen. Einfach herrlich, Milch und Käse von Kühen zu genießen, die man auf der Weide gesehen hat.