Weihnachts-Kondore auf der Vicuña-Station
24.-26.12.2017
Am Weihnachtsabend erreichen wir nach einem langen Fahrtag auf dem Weg von Cusco nach Nasca das Nationalreservat Pampa Galeras. Es ist schon dunkel, als wir im Innenhof parken, die Station kommt uns unbewohnt vor, doch plötzlich stehen Milli, die Rangerin, und Santiago, der Biologe, vor uns. Ja, bei dieser Forschungsstation darf man kostenlos übernachten, nach Voranmeldung auch in deren Gästezimmern, und man steht hier absolut sicher. Welche Erleichterung!
Wir kochen zunächst unser Weihnachtsmenü: ein leckeres Gemüse mit frischem Choclo (spezielle Maissorte), den wir eine Stunde zuvor einem kleinen Jungen abgekauft haben, der mit den erntefrischen Maiskolben gewunken hatte. Als Nachtisch zaubert Torsten mit Pisco flambierte Mango (auch erntefrisch) mit Kakaosauce. Der Preis für den Gaumenschmaus: die Hitze – nicht die Flammen! – haben die Moskitonetze an den beiden Dachluken angeschmort, am nächsten Tag nähe ich drei Stunden lang Flicken auf die Löcher. Das war es aber allemal wert! Die Station liegt auf 3.900 m Höhe, und als wir einen kleinen Verdauungsspaziergang machen, sehen wir den bisher tollsten Sternenhimmel in den Anden. Zuvor waren wir von dem Sternenhimmel immer etwas enttäuscht gewesen: zwar reichten die Sterne von Horizont zu Horizont, aber es waren immer „so wenige“. In entlegenen Flecken Europas (Ísland, Sardinien, Nordspanien) hatten wir schon viel „vollere“ Sternenhimmel gesehen, und hatten hier noch mehr Sterne erwartet. Klar – wir sehen ja auf der Nordhalbkugel immer die Milchstraße, die „füllt“ gut, und die hatten wir bisher in Südamerika nicht gesehen. In Nord-Chile beispielsweise hatte Orion ungewohnt auf der Seite gelegen, quasi auf dem Horizont geschlafen, und Cassiopeia war als „M“ anstatt wie bei uns als „W“ zu sehen. Heute abend steht Orion schon recht hoch, und wir sehen ein Stückchen Milchstraße, also endlich haben wir das, was wir immer gelesen und somit erhofft hatten: einen „vollen“ Sternenhimmel in den Anden. Ein wunderbares Weihnachtsgeschenk.
Am nächsten Morgen zeigt uns Santiago das Museum mit einigen ausgestopften Tieren aus der Region, und Fotos von der Vicuña-Zucht und –Schur. Die Station wurde in den 60’er Jahren aufgebaut, um die damals nur etwa 500 Vicuñas zu schützen. In den 70’ern fielen viele der Tiere und auch einige Ranger dem Sendero Luminoso zum Opfer, daher wurde die Station aufgegeben und 1979 mit deutscher Unterstützung wieder aufgebaut. Mittlerweile leben wieder 200.000 Vicuñas in Peru. Diese zierlichsten der Andenkamele haben das feinste Fell (1 kg Wolle bringt 500 USD ein!) und wurden deshalb gejagt, heute hat man die Jagd ziemlich zurückgedrängt und sichert so einigen indigenen Commiunidades in den Anden, die diese Tiere halten und einmal im Jahr „sanft“ scheren, ihr Auskommen. Das ist der Unterschied zwischen Nationalparks, wie Manu (siehe voriger Blogeintrag), in denen die Tiere nicht gestört oder genutzt werden dürfen, und den Nationalreservaten, in denen Forschungsstationen angesiedelt sind, und die Tiernutzung, z.B. Schur, erlaubt ist.
Eigentlich wollten wir nach dem Museumsbesuch weiterfahren, als uns Santiago von den Kondoren erzählt. Ganz in der Nähe befindet sich ein Berg, an dem sich die Kondore bei Sonnenaufgang sammeln, um von hier aus gemeinsam ihren täglichen Flug zu starten. Sie fliegen dabei bis ans Meer, 150 km, in die Nähe von Nasca. Im Dezember sind es meist nur um die 20 Kondore, im Juni bis zu 50. Abends treffen sie sich wieder bei diesem Berg, bevor die einzelnen Familien ihre Unterkünfte beziehen. Heute abend will er wieder Kondore zählen gehen. Also beschließen wir, den Tag hier zu verbringen und abends mit ihm Zählen zu gehen! Wir verrichten einige technische Dienste (Moskitonetz flicken, bzw. Torsten bringt den Hano wieder auf Vordermann) und machen einen schönen langen Spaziergang über die Hochebene, um die frei lebenden Vicuña-Familien zu beobachten. Zwei Vicuñas, die von ihren Familien aufgegeben wurden, werden auf der Station geroßgezogen: Nena, 7 Monate alt, und ganz „hembra“: scheu und verschmust; sowie „Juanito“, 6 Monate alt, und ganz „macho“: er beißt gern in Schuhe, Knie, oder von hinten und guckt einen dann mit großen unschuldigen Augen an… Da sie beide im Alter von wenigen Tagen gefunden und auf die Station gebracht wurden, und seitdem von Milli mit Milch aufgezogen werden, folgen sie ihr auf Schritt und Tritt, bis ins Büro.
Am Nachmittag dann die Enttäuschung: dicke Wolken verhängen den Berg und versperren die Sicht. Wir beschließen dann, am nächsten Morgen früh zum Kondorberg zu starten, und ich frage zweimal nach, ob es ausreicht, um 6:00 loszufahren, was Santiago bejaht. Am nächsten Morgen haben wir auch tatsächlich Glück mit dem Wetter: klarer Himmel, dafür -4°C. Für uns mit unserer Standheizung kein Problem, aber die Rangerstation ist unbeheizt… Verfroren kommen die beiden zum Hano und freuen sich dann über den Wärmekomfort bei der Fahrt. 5 km rennt der Hano über die geteerte Straße, und schaukelt dann langsam weitere 3 km über eine rumpelige Piste, die wir allein nie gefunden hätten. Als wir am Kondorberg ankommen, sind die meisten Tiere schon abgezogen. Ich erwische mich bei dem typisch deutschen Gedanken „wären wir doch eine Stunde früher losgefahren, und hätten lieber bis Sonnenaufgang im Dunkeln und Kalten gefroren, um ja keines der Tiere zu verpassen“, und bin mir nicht ganz sicher, ob Santiago sich mit der Zeit verhauen hat, uns das frühe Aufstehen nicht zumuten wollte, oder einfach nicht frieren wollte. Die Kondore haben eine festgelegte Startreihenfolge: zuerst die erwachsenen Männchen, dann die erwachsenen Weibchen, dann die Jungs, zuletzt die Mädels. Zwei dieser Mädels machen uns aber eine Riesenfreude: Sie setzen sich ganz in unserer Nähe auf einen kleinen Hügel, um sich vor dem Start in den ersten Sonnenstrahlen aufzuwärmen. Sie lassen uns ganz nah herankommen. Nach etwa 15 Minuten breiten sie ihre Schwingen aus und entfliegen dann majestätisch in Richtung Küste. Ein Super-Erlebnis, gewissermaßen „Klasse“ statt „Masse“.
Da Santiago heute in das Büro nach Nasca fahren muss, freut er sich über unser Angebot, ihn mitzunehmen. In so einem tollen Fahrzeug wie dem Hano ist er noch nie mitgefahren, und die Fahrweise der Collectivo-Fahrer ist auch den meisten Peruanern ungeheuer: überhöhte Geschwindigkeit, und bei jeder Gelegenheit wird überholt, bevorzugt in Kurven und vor Hügelkuppen… Zwei Stunden gibt er uns als normale Fahrzeit an, wir warnen ihn vor, dass es mit dem Hano dann vier Stunden dauern könnte, aber das reicht ihm, er muss erst am Nachmittag im Büro sein. Die Straße ist jedoch prima, und wir sind in zwei Stunden da. Ein wenig schade, denn auf der Fahrt gehen uns die Gespächsthemen nicht aus. Wir erfahren zum Beispiel, dass man einen Führerschein für 300 Soles kaufen kann, das ist billiger als Fahrstunden zu nehmen. Daher kennen viele Autofahrer die Verkehrsregeln überhaupt nicht, und das erklärt uns das Chaos auf den Straßen. Wir sind mal wieder froh über unsere nachgerüstete Hupe, sie hilft schon gut, um entgegenkommende Fahrzeuge auf ihre Seite zurückzutreiben.
Wie kann man sich ein schöneres Weihnachtsfest vorstellen, als ohne Handynetz und Internet den ersten Feiertag mit Vicuñas zu verbringen, und den zweiten mit Kondoren zu beginnen? Als wir wenige Kilometer nördlich von Nasca (ca. 500 m.ü.N.N.) auf einen Aussichtsturm steigen, um drei der berühmten Figuren anzusehen, sehen wir zwei Kondore fliegen. An dem dunklen Federkleid erkennen wir, dass es Jungtiere sind (Erwachsene bekommen eine weiße Zeichnung an den Schwingen und die typische weiße Halskrause), und an dem geraden Kopf ohne „Beule“, dass es Mädchen sind. Die Nasca-Linien liegen genau in der Luftlinie zwischen dem Kondorberg von heute morgen, und dem Strand, an dem die Tiere schon öfter gesichtet wurden. Höchstwahrscheinlich sind es also unsere Freundinnen, deren Start wir vor drei Stunden in den Bergen beobachtet haben!