Zwischenzeiten und Zwischenorte 19.02.2022
Bei einer solch langen Reise, wie wir sie gerade unternehmen, sind die Höhepunkte in Nationalparks oder an sonstigen herausragenden Orten nicht die Regel, sondern eher die Abwechslung zum Reisealltag. Zwischen zwei Höhepunkten hat man lange Fahrstrecken zu überwinden, was aber für uns kein Nachteil ist, sondern genau den Zauber dieser Art zu Reisen ausmacht. Diese unbekannten Zwischenorte, die langen Zwischenzeiten geben uns Gelegenheit, nicht nur isolierte Höhepunkte wahrzunehmen, sondern auch deren Einbettung in die jeweilige geographische und kulturelle Umgebung. Man lernt das Land aus einer anderen Perspektive kennen und erhält so differenzierte Einblicke. Es bleibt Zeit, die gedanklich oft nicht zusammen passenden Erfahrungen zu reflektieren.
Schon bei der 100 km langen Anfahrt über teilweise unwegsame Pisten zum Ol Doinyo Lengai haben wir das Land der Massai durchquert. Hinter jedem Hügel tauchen neue ausgemergelte Rinderherden mit Massai-Hirten auf, der Boden völlig überweidet, kein Halm ist mehr am Boden zu sehen. Einige der Massai winken fröhlich, viele halten bettelnd die Hand hin. Die Kinder betteln fast alle, schreien uns dann böse hinterher, wenn wir ihnen nichts geben, ein Junge hat Kathrina sogar Steine hinterher geworfen. Bei der ebenfalls 100 km langen Fahrt vom Ol Doinyo Richtung Kilimandscharo dasselbe Bild: überweidete Gebiete, ausgemergelte Herden, bettelarme Menschen. Ein trauriges Bild, aber es liegt nicht in unserer Hand, dies zu ändern. Man wird schon zornig, wenn man bedenkt, dass man so viel Geld zahlen muss, wenn man sich in den Schutzgebieten aufhält. Laut der Fremdenführer kommt von diesen zentralen staatlichen Gebühren bei den Kommunen kaum etwas bis gar nichts an, von daher erheben einige Kommunen zusätzlich noch Maut für die Pisten. Aber auch von diesem Geld werden weder die Pisten gepflegt, noch eine vernünftige Entwicklung oder Strukturplanung in den Kommunen durchgeführt – wie sonst erklärt man sich diese ökologische und menschliche Katastrophe, deren Zeugen wir gerade werden?
An den touristischen Höhepunkten erzählen die Führer einem dann stolz von ihren großartigen Konzepten der ineinander übergehenden Schutzgebiete ohne Zäune (die übrigens von Bernhard Grzimek in den 1950‘er Jahren vorgeschlagen wurden…). Dies soll die natürliche Wanderung der Wildtiere ermöglichen. Natürlich können die Wildtiere wandern. Dass die Wanderungen von Reservat zu Reservat jedoch über kahl geweidete Steppen erfolgen, erzählen sie ihren Besuchern nicht. Das muss man sich mit eigenen Augen erschließen. Wir sehen durchaus einige Giraffen in diesen Zwischenräumen, was uns gar nicht verwundert. Die kargen Grasflächen interessieren diese Langhälse sowieso nicht, sie fressen ja die saftigen (und wenn’s sein muss auch trockenen) Blätter der hohen, dornigen Bäume. Giraffen haben es also leicht, sich in den verwüsteten Landstrichen zu bewegen. Dann fallen uns noch einige Zebra-Herden auf. Die hatten wir doch auch als Weidetiere in Erinnerung. Wir beobachten jedoch, dass die Zebras an den Büschen knabbern, die niedrig genug für sie sind, also zwei Etagen tiefer als die Giraffen. Ein Blick ins Tierbuch bestätigt unsere Beobachtung: Zebras können erstens noch sehr wenig nahrhafte Gräser verwerten, die von den meisten anderen Weidetieren verschmäht und übrig gelassen werden, und können zweitens, wenn auch diese nicht mehr vorhanden sind, auf Blätternahrung umsteigen. Natürlicherweise erfolgt diese Umstellung in der Trockenzeit, wenn das Gras verdorrt ist. Momentan ist aber Regenzeit, doch dank der Rinder ist dennoch kein Gras mehr verfügbar. Den Zebras ist der Grund egal, sie genießen sichtlich die Blätter.
Als wir uns einen Übernachtungsplatz suchen, zweigen wir von der kleinen Piste auf eine noch kleinere ruppige Piste ab. Es geht den Berg hinauf, teilweise mit mehr als 25% Steigung. Mit einem Schlag sind keine Weiden und Hirten mehr zu sehen, sondern relativ dichtes Gebüsch. Auf einer kleinen Lichtung sehen wir einige Zebras, dann auf mehreren Lichtungen verschiedene Gazellen-Arten. Es gibt sie also doch, die nicht überweideten Refugien für die Wildtiere, außerhalb der Schutzgebiete. Wir hatten hier in einer elektronischen Karte einen Campingplatz eingezeichnet gesehen, den wir jedoch nicht finden. Dann verstehen wir: Wir sind mal wieder in einem Jagdgebiet gelandet… Auch von diesen Gebieten erzählen einem die Tourenführer nichts, aber wenn man lange genug unterwegs ist und die Augen offen hält, wenn man versucht, nach verschämt in der Karte eingezeichneten Campingplätzen im Internet zu recherchieren, oder doch mal mit einem aufgeschlossenen einheimischen Insider ins Gespräch kommt, erkennt man, dass es rund um die Schutzgebiete in den durchlässigen Zonen alle Nase lang Jagdreviere gibt. Die werden nicht prominent ausgewiesen, man könnte leicht an ihnen vorbeifahren ohne sie als solche zu erkennen. Großwildjagd ist ja schon lange nicht mehr schick, sie findet also eher unter dem Radar statt. Wer dann die 20 Tausend Dollar Konzession einsteckt, die man angeblich für die Jagd auf einen Leoparden zahlen muss, und wer die mehrere Tausend Dollar für die Ausfuhr der Trophäe im Erfolgsfall, ist uns nicht ganz klar. Wir gehen davon aus, dass es besser ist, manche Dinge nicht zu genau zu wissen, aber die Bürger im Staat sind sicher die letzten, die von dieser zusätzlichen Einnahmequelle profitieren.
Wir fühlen uns im Jagdrevier sicher, freuen uns, nicht in einem Schutzgebiet auf Campingplätze gehen zu müssen, und suchen uns eine kleine Lichtung, auf der wir Kathrina parken, durch hohe Büsche von der Piste sichtgeschützt. Als ich mir nachts kurz die Beine vertreten will, flieht ein Tier, rennt im großen Bogen um Kathrina herum und enttarnt sich dann in deutlichem Abstand durch sein Geheul als Hyäne. Sie ist zwar vor mir geflohen, aber für den Fall, dass noch größere Räuber unterwegs sind, bleibe ich mit dem Rücken zu Kathrina stehen, beobachte die Sterne und verzichte aufs Beine vertreten. Eine wunderbare ruhige Nacht in der freien Natur, welch herrliche Abwechslung zwischen all den kultürlichen Erfahrungen, die einen im Norden Tansanias umgeben.